Die Kinder des Teufels (German Edition)
den Toren herrschte Leere.
Da machte er schon kehrt, als ihm etwas auffiel. Ein dunkler Fleck im weißen Schnee. Er flog hinab, erkannte Arme und Beine, einen haarlosen Kopf und ein Kreuz an einer Kette. Um die Schulter dieses dicken Manns mit Kutte hing ein Beutel. Sein Inhalt hatte sich auf dem Schnee verteilt. Schimmernde Münzen, ein Becher, ein Buch mit einem Kreuz darauf, Nüsse, getrocknete Pflaumen, ein Apfel und ein Stück Brot. Besser hätte er es nicht treffen können. Sein Hunger war groß, und er ließ alle Vorsichtsmaßnahmen fahren.
Mit gefülltem Magen und dem Wissen um den nächsten Hunger begann er dann, die übriggebliebenen Nüsse und Pflaumen, das bisschen Brot und den Rest des Apfels in den umliegenden Büschen in Sicherheit zu bringen. Auf das Buch, den Becher und die schimmernden Münzen verzichtete er, wenngleich die Münzen und ihr Glanz schon verlockend waren.
Nun war er zum Heimflug bereit. Er setzte an, merkte aber, dass irgendetwas nicht stimmte. Seine Flügel wirkten seltsam verdreht, krumm und schlaff. Selbst die dünnen Beine wollten ihn nicht länger tragen. Er wankte, taumelte und stürzte. Sein scharfer Blick verkehrte sich ins Doppelte, bei manchen Dingen gar ins Doppeldeutige.
War das nun ein Baum vor ihm oder der riesige Kopf eines angriffslustigen Hahns?
Er wusste es nicht. Auch sein unbestechliches Gehör spielte auf einmal verrückt. Wenn er sich nicht täuschte, hörte er da Pferde auf ihn zukommen, Schlachtrösser, wie er sie in den Menschenkriegen oft gesehen hatte. Die Nüstern stießen weißen und roten Rauch hervor, aus den Mäulern quoll weißer Schaum, und ihre Hufe donnerten wie Kanonenschläge.
Flucht war das Einzige, an das er noch denken konnte. Ein, zwei Flügelschläge sollten ihn in die Luft heben, aber es gelang ihm nicht. Jedes Mal, wenn er die Flügel ausbreitete, fiel er zur Seite um. So konnte er nur noch hoffen, dass die Angreifer ihn übersahen.
Keinen Schritt entfernt stieben gewaltige Rösser an ihm vorbei, in ihrem Gepäck ein donnernder Streitwagen auf vier Rädern, mit einem Fahrgast, dessen Zorn kaum zu bändigen war.
Es gab etwas, das Otto noch mehr hasste als seinen Lehrer Vikar Ludwig und seinen Meister in der Schmiede: Das war seine Arbeit.
Otto hatte nicht nur Helme, Messer, Spieße und Brustpanzer für die Landsknechte zu fertigen, sondern auch die fürchterlichen Folterwerkzeuge, die in den Kerkern verwendet wurden. Das brachte ihn ein ums andere Mal an den Rand der Verzweiflung, denn es machte ihn zu einem Helfershelfer der Folterknechte.
Auf seiner Suche nach Volkhardt sollte sich die schändliche Arbeit dann aber doch auszahlen: Er kannte die meisten Kerker der Stadt von innen. Wenn er den Knechten ihr Werkzeug brachte, sie darum bat, die Zangen und Nagelbretter einer Prüfung zu unterziehen, konnte er sich in aller Ruhe umsehen.
Von den vielen neuen Gefängnissen, die der Bischof hatte errichten lassen, um der Flut der Hexen und Teufelsanbeter gerecht zu werden, hatte er gerade die Hälfte durch, und es war bereits Mitternacht. Er würde zu dieser späten Stunde nicht noch einmal sein Erscheinen damit rechtfertigen können, dass der Meister ihn losgeschickt hatte, um zu erfragen, ob die Knechte mit den Werkzeugen zufrieden waren.
Otto stand vor der bischöflichen Kanzlei. Unten in den Kellergewölben befanden sich acht neue Zellen. Die waren den wichtigen oder einflussreichen Gefangenen vorbehalten, einen gewöhnlichen Dieb oder Betrüger fand man hier nicht. Volkhardt würde an anderer Stelle festgehalten.
Doch dann erinnerte sich Otto der Kinderhexenprozesse. Sie wurden in der Kanzlei des Bischofs abgehalten, und sofern es zutraf, dass die Knechte auf der Suche nach Kathi und Michael waren, dann würden sie von hier aus befehligt.
Einen Versuch war es wert. Er ging durchs Tor in den Hof. In den Befragungsräumen und den Verwaltungsstuben war alles Licht erloschen, was nicht anders zu erwarten war. So kam er zur Treppe, die in den Keller führte. Der typische Gestank von Fäkalien, Blut und Schweiß kam ihm entgegen. Wieso machten diese Kerle nicht öfter die Türen auf? Er würde das nie verstehen.
Die erste Tür ließ sich öffnen. Er befand sich im Gemeinschaftsraum, wo die Knechte aßen und schliefen. Drei lagen schnarchend auf ihren Strohlagern, der vierte musste im Kerkertrakt sein. Das war merkwürdig, denn gewöhnlich hielt sich die Wache hier und nicht im stinkenden Keller auf. Vorsichtig schlich er zur
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