Die Kinder Paxias
Erkenntnisse.
„Mir scheint, meiner Fantasie sind mehr Grenzen gesteckt, als ich mangels Erfahrung immer befürchtet habe.
Unterschiedlicher können Imagination und Wirklichkeit schwerlich sein. Ein Mitglied dieses Volkes habe ich mir anders vorgestellt – ganz anders.“
Es war ein Selbstgespräch, dementsprechend erforderte es keine Reaktion.
Aber Cecil war anderer Meinung.
„Richte nicht zu hart über dich, Saya. Bedenke die Tatsache, dass ich nie unter meinesgleichen gelebt habe.“
Kaum hatten seine Worte ihr Bewusstsein erreicht, erinnerte sie sich seiner bereits zuvor erwähnten Einschränkung, und neue Fragen entstanden, schwebten spannungsgeladen in der Luft, warteten darauf, formuliert zu werden.
Die erste beantwortete der junge Mann unausgesprochen.
„Ein Teil meiner Familie hat unserem Reich den Rücken gekehrt und halb Paxia zwischen sich und und die Höhlen des Windes gebracht. Mich hat man als Kleinstkind regelrecht mitgeschleppt. Aufgewachsen bin ich dann in einer paxianischen Stadt weit im Süden von hier.
Da mein Angehöriger zeitgleich seinen Kräften entsagt hat, hat sich nie jemand die Mühe gemacht, mich ernstlich zu unterweisen, um diese vernünftig auszubilden.
Wenn nicht eine freundliche Seele wenigstens meine Flugfähigkeiten mit mir unter erheblichen Schwierigkeiten entwickelt hätte, wäre ich ein noch traurigeres Exemplar meiner Art geworden, als nun vor euch steht.
Immerhin konnte ich dadurch Kaeli von Nutzen sein.“
Eine sehr dürftige und lückenhafte Beschreibung seines Werdegangs, wie Saya bewusst war. Aber sie empfand sie als ausreichend, da sie keinerlei Interesse an seiner persönlichen Lebensgeschichte hegte. Mochte er 120, maximal 150 Jahre alt sein, viel konnte er in Anbetracht seiner Jugend nicht erlebt haben. Die Geschichte der Paxianer war friedlich und ereignislos innerhalb dieses Zeitraumes.
Kaeli war sicher gegenteiliger Meinung – die mitfühlende Neugier stand ihr ins Gesicht geschrieben, doch auch darauf nahm die Gelehrte keine Rücksicht.
„Soll das heißen“, begann sie stattdessen ungläubig, den Kern seiner Aussage fassend. „Deine Kräfte liegen verborgen in deinem Innern?“
„Wartend, dass sie irgendwann gehoben werden“, bestätigte er ausdruckslos.
„Bist du auf dem Weg in deine Heimat? Damit genau das geschieht?“, mischte Kaeli sich nun mit ihrer melodisch weichen Stimme ein, die ihn einen Lidschlag zu irritieren schien. Auch Saya vernahm den eigenartig süßen Klang, der in feinen Schwingungen ihr Gehör umschmeichelte, auf dem besten Weg, ihre Konzentration nachhaltig zu stören und hob konsterniert eine Braue, forschend das Mädchen fixierend.
Kaelis Augen waren eine Spur dunkler geworden, doch nichts in ihrer Miene wies darauf hin, dass sie sich der Wirkung ihrer Stimmfarbe bewusst war. Unerfahrene Mächte, die noch hilflos in ihr schlummerten, wartend auf ihre kontrollierte Anwendung.
Und sie würde eine herausragende Nutzerin werden.
Saya nahm sich vor, Kaelis Entwicklung wachsamer im Auge zu behalten, bevor sie eine potentielle Gefahr zu spät erkannte.
Auch Cecil hatte seine Fassung behalten und stand dem Mädchen ebenso bereitwillig Rede und Antwort wie der Gelehrten.
„Nein. Ich vermisse mein Reich nicht und habe nie Verlangen gespürt, dorthin zu reisen. Ich glaube auch nicht, dass ich dort mit offenen Armen empfangen werden würde. Für sie bin ich ebenso ein Abtrünniger, wie mein Angehöriger.“
„Du willst uns nicht erzählen, dass die Aussicht auf ein abendliches Naturschauspiel der wahre Grund für deine Anwesenheit ist?“, Unglaube steigerte ihre Skepsis, dass Saya das wohlbekannte Gefühl erwachender Aggression ihren Körper anspannen spürte. Ihr innerliches Brodeln vorerst beherrschend, versuchte sie sich auf sein wirkliches Motiv zu konzentrieren.
Es war nicht erkennbar, ob Cecil ihre Körpersignale verstand, die den bevorstehenden Sturm ankündigten und ihn zum Sprechen brachten. Oder ob es an Kaelis furchtsamer Miene, zusammen mit dem bittenden Ausdruck ihrer dunklen Augen lag – sie erkannte Sayas Stimmung gut genug – die ihn zu einer Erklärung bewogen.
„Das ist nicht so abwegig, wie du anzunehmen scheinst. Tatsächlich wäre es nicht das erste Mal, dass ich zu eben diesem Zweck diesen Ort aufgesucht hätte.
Aber nicht heute, da kann ich dich beruhigen.
Ich bin seit Wochen auf der Suche nach einem Freund, die mich bereits über die gesamte westliche Seite Paxias jenseits des Gebirges
Weitere Kostenlose Bücher