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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Haares.
    »Lancelot.«
    »Guinevere.«
    Dann streifte sie sich das Kleid von den Schultern, und er trat zu ihr.
    Er wusste, dass er in einem Zauber gefangen war, doch er konnte sich nicht dagegen wehren. Denn tief in seinem Inneren wollte er dies tun, wollte er diese Frau berühren. Und nichts und niemand auf der Welt hätte ihn davon abbringen können; ja, ihm war, als habe sein ganzes Leben ihn nur auf diesen einen Moment vorbereitet, in dem er und sie eins werden würden.
    Und doch wusste er, dass es nicht recht war, was er tat. Irgendwo, am Rande seines Bewusstseins, waren Stimmen, die ihn riefen. »Lancelot!«, riefen sie. »Lancelot, wo bist du? Lancelot, die Flut kommt, wir müssen fort!«
    Doch der Zauber, der ihn umfing, war stärker als alle Pflichten, stärker als alle Vernunft, und er riss ihn mit sich hinweg auf einer Woge des Vergessens.
    Als er erwachte, war es dunkel geworden. Das Licht im Raum war zu einem Dämmerschein herabgesunken, einem blutroten Schimmer, der durch das westliche Fenster drang. Er setzte sich auf. Er war nackt. Sein Blick ging zu der Gestalt neben ihm auf der Lagerstatt. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Ihre Haut war in der rötlichen Dämmerung durchscheinend wie Marmor. Ihr Atem ging regelmäßig. Sie schlief.
    »Guinevere …«
    Er beugte sich über sie. Ihr Gesicht war so rein und unschuldig wie das eines Kindes. Er hob die Hand, einem plötzlichen Impuls folgend, um ihre Wange zu streicheln, hielt dann aber inne. Er wollte sie nicht wecken.
    Leise nahm er seine Kleider auf und streifte sie sich über. Wo war sein Speer? Er war nirgends zu sehen. Die Tür der Kammer knirschte laut, viel zu laut in den Angeln, als er sie öffnete. Die Stiege war verlassen.
    Er fand den Speer draußen auf der Galerie an die Mauer gelehnt. Als seine Finger sich um den grünen Schaft schlossen, atmete er selbst das erste Mal wieder auf. Er warf einen Blick über die Brüstung.
    Das Schiff war fort.
    Er hetzte die Stufen hinab, die zum Kai führten, immer zwei auf einmal nehmend. Immer noch war nirgends jemand zu sehen. Die Leute waren alle in ihren Häusern und saßen beim Abendessen, als wäre nie etwas gewesen. Von irgendwoher drangen Fetzen von Worten an seine Ohren, erklang Musik. Aber an dieser Gemeinschaft hatte er keinen Anteil. Er gehörte nicht hierher.
    Der Kai lag verlassen. Eine Eidechse huschte darüber hinweg. Rot waren die Fluten des Wassers, rot wie Blut.
    »Ein Schiff!«, rief er. »Gebt mir ein Schiff!«
    Er hob den Speer. In der Glut der untergehenden Sonne warf die geflammte Spitze das Licht zurück wie eine brennende Fackel.
    Fern im Westen blinkte es golden als Antwort …
    Geblendet schloss Hagen die Augen. Und riss sie gleich wieder auf. Er war wieder in der Halle, vor dem Thron Mâth mab Mathonwys. Siggi stand neben ihm, das Schwert in der Hand, als sei überhaupt keine Zeit verstrichen.
    »Hast du das auch gesehen?«, flüsterte Siggi. »Es war so lebendig … so als wäre man dabei gewesen.«
    »Vielleicht waren wir wirklich dabei. Du als Arthur, ich als Lancelot. Und sie als Guinevere.«
    Gunhild kauerte zu Füßen Mâths. Sie hatte die Augen geschlossen und bewegte sich leise, wie im Takt zu einer unhörbaren Musik.
    »Und ist es jetzt zu Ende?«, fragte Siggi.
    »Das kann nicht sein. Wir wissen noch nicht, wie die Geschichte ausging. Aber wer soll denn jetzt noch berichten, was weiter geschah?«
    Der Schrei, der sie herumfahren ließ, war der Schrei einer menschlichen Kehle, doch es lag so viel Verzweiflung darin, so viel Hoffnungslosigkeit, wie kein Mensch sie je erdulden sollte. Es war Merlin, der schrie. Er war in die Knie gebrochen. Seine Augen waren verdreht, starrten blicklos ins Leere.
    Merlin sah:
    Dunkelheit umfing ihn, und dennoch konnte er sehen. Nicht beim Schein eines irdischen Lichtes, einer Lampe vielleicht oder einer Fackel. Ein fahles Unlicht herrschte allüberall, das aus Abstufungen von Schwärze bestand. Denn dieser Raum, in dem er lag, war ein Teil von Annwn, und in Annwn ist Licht Finsternis und Finsternis Licht.
    »Merlin?«
    Eine dünne Stimme aus dem Dunkel. Er antwortete nicht.
    Etwas bewegte sich in der Tiefe des Raumes. Etwas, das riesig war, schuppig und gewunden. Eine urtümliche Macht, wie sie in den Tiefen des Meeres verborgen liegt. Ein Ächzen wie von einem großen Tier in Todeszuckungen, einem gestrandeten Wal, gespickt mit den Harpunen der Fänger. Dylan war schwer verwundet, aber er lebte.
    Ein weiterer Schatten in der

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