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Die Kinder von Avalon (German Edition)

Die Kinder von Avalon (German Edition)

Titel: Die Kinder von Avalon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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zurück nach Dyved und erzählte dort allen, was geschehen war. So dumm war er. Und von diesem Tag an nannte er sich nicht nur ›Fürst von Dyved‹, sondern gab sich selbst den Titel ›Herr von Annwn‹. Rhiannon aber …«
    Der Piskey machte eine viel sagende Pause. Das Gelände stieg hier wieder allmählich an. Der Nebel war bereits so weit von der anbrandenden See verzehrt worden, dass man einen Großteil der Umgebung erkennen konnte. Rechts und links schimmerten Wasserflächen, Tümpel und Priele, welche die Flut zurückgelassen hatte. In den Watten gurgelte der Sog.
    Der Pfad folgte einer Art Damm, der zu dem voraus liegenden Hügel emporführte. Die Sonne, die nun direkt darüber stand, war immer noch dunstverhangen, aber inzwischen von dem blutigen Rot des Abends, und blendete so stark, dass man den Blick nicht darauf richten konnte.
    »Oh, Rhiannon«, sagte der Piskey. »Natürlich hatte sie sofort erkannt, dass es nicht Pwyll war, der von der Jagd heimgekehrt war. Aber sie hatte nichts gesagt, zu niemandem, und was zwischen ihr und dem Jäger in der Kammer ihrer Burg vorgegangen war, das wissen nur diese beiden. Aber neun Monate nach Pwylls Rückkehr gebar Rhiannon einen gesunden Knaben …«
    Der Piskey machte wieder eine Pause. Er grinste mit diebischer Freude. Als von seinen Begleitern jedoch keiner Anstalten machte, ihn zum Weiterreden aufzufordern, fuhr er schließlich von sich aus fort: »Na, was glaubt ihr, was die Leute von Dyved da gerechnet haben! An den Fingern haben sie die Tage gezählt!« Er machte es vor, mit seinen langen Flossenfingern. »War’s wirklich das Kind Pwylls oder war’s die Brut Arawns? Wir werden’s nie erfahren, nicht wahr? Aber die guten Leute von Dyved nahmen die Sache selbst in die Hand. Sie wollten nicht eines Tages von einem König regiert werden, bei dem sie sich niemals sicher sein würden, wessen Geistes Kind er war, ob Fisch oder Fleisch.« Aus dem Munde des Piskeys klang das besonders merkwürdig, weil er selbst keiner der beiden Arten anzugehören schien. »Und so entführten sie das Kind, setzten es auf einem Hügel aus. Da, hört ihr es schreien?«
    Wieder bewegte er seine Finger in dem seltsamen, schnellen Tanz, hielt dann aber inne. »Oh, ich vergaß. Keine Tricks, sagte der kluge Sohn Dôns.« Er schielte zu Hagen hinüber, der den Speer hob.
    »Weiter«, befahl Hagen.
    Es war nicht klar, ob er damit meinte: Weiter mit der Geschichte!, oder: Geh weiter! Der Piskey schien es vorsichtshalber als beides zu deuten, denn er wandte sich um und verfiel wieder in seinen eigentümlich schwankenden Schritt, während er erneut den Faden der Erzählung aufnahm.
    »Also«, sagte er, »um ihre Tat zu vertuschen, schmierten sie Rhiannon, während sie schlief, Blut um den Mund, das Blut eines neugeborenen Ferkels, und verspritzten es ringsumher. Und als sie am Morgen erwachte, schrien alle: ›Sie hat ihren eigenen Sohn getötet! Sie hat ihr Kind gefressen!‹ Pwyll, der arme Schwachkopf, konnte nichts machen. Da er sie aber nicht hinrichten konnte – immerhin war sie seine Königin –, musste er sie spektakulär bestrafen.«
    Sie hatten inzwischen das Ende des Damms erreicht. Hier erhob sich der Hügel, direkt aus dem flachen Wasser, das seinen Fuß umspülte. Dort, wo die Alte Grade Spur aufhörte, befand sich eine Art Tor, bestehend aus zwei riesigen, aufrechten Steinplatten, die von einer dritten überdacht wurden. Im Schatten des Tores saß eine Gestalt, die sich erhob, als sie näher kamen.
    »Oh, Ihr hohen Herren«, rief sie mit dünner Stimme, »lasst mich Euch meine Dienste anbieten. Auf meinem Rücken will ich Euch zur Burg tragen, denn so lautet der Richtspruch, den mir mein Gemahl und König auferlegt hat.«
    Es war eine Frau. Ihr Haar war verfilzt, ihr Gesicht ungewaschen und ihre Kleider waren Lumpen, die mehr schlecht als recht zusammenhielten. Ihre Hände waren verschorft und bluteten, als sie sich aufrichtete.
    »Aber wieso …?«, stammelte Siggi.
    »Ach, junger Herr, wenn Ihr fragt, so muss ich Euch darauf antworten, denn das ist Teil meiner Strafe. Wisset, ich bin Rhiannon von den Vögeln, und ich muss hier am Tor sitzen und jedem, der da kommt, diesen Dienst leisten, weil ich meinen eigenen Sohn …«
    Die Gestalt verblasste, noch während der halb ausgesprochene Satz in der Luft hing.
    »Entschuldigung«, sagte der Piskey. »Ich hatte es vergessen. Ihr wolltet ja die Geschichte ohne die Spezialeffekte. Es nimmt der Sache etwas von der Dramatik. Ein

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