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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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sein sprachliches Niveau herunterschraubt, damit er wie ein Mann des Volkes wirkt. Sie verstehen, was ich meine?«
    Judy lächelte. »Kannste deinen Arsch drauf wetten.«
    »Die erlernte Sprechweise wird unter kontrollierten Bedingungen eingesetzt«, sagte Simon, während er das Band zurückspulte.
    »Und zwar immer dann, wenn wir uns gelassen und selbstsicher fühlen. Doch sobald wir unter Streß stehen, kehren wir zu den Sprachmustern unserer Kindheit zurück. Soweit alles klar?«
    »Ja«, sagte Bo.
    »Diese Frau hat ihr sprachliches Niveau willentlich heruntergeschraubt. Sie redet mit Absicht proletarischer, als sie in Wirklichkeit ist.«
    Judy war fasziniert. »Sie meinen, die Frau ist eine Art Patty Hearst?«
    »Was das betrifft, ja. Sie beginnt mit einem eingeübten förmlichen Satz, den sie mit ihrer normalen Stimme spricht. Nun, im Englischen spricht man das R um so deutlicher aus, je höher die soziale Schicht ist, aus der man stammt. Behalten Sie das im Kopf, und achten Sie jetzt mal darauf, wie diese Frau das Wort ›Gouverneur‹ ausspricht.«
    Judy wollte Simon aufhalten, doch ihr Interesse war einfach zu groß. Die Frauenstimme auf dem Band sagte: »Hier sind die Kinder von Eden mit ‚ner Botschaft an Gouverneur Mike Robson.«
    »Haben Sie gehört, wie sie die Worte ›Guv‘nöh Mike‹ ausgesprochen hat? Das ist Straßenjargon. Aber jetzt hören Sie sich das nächste Stück Band an. Die Frau war nicht auf den Ansagetext eines Anrufbeantworters gefaßt und verfällt in ihre gewohnten Sprachmuster.«
    »Scheiße, ich hätte nicht erwartet, mit einem Tonbandgerät zu sprechen. Ein verdammter Recorder.« »Auch wenn sie ›Scheiße‹ und ›verdammt‹ sagt, spricht sie das Wort ›Recorder‹ sehr präzise aus. Eine Frau aus der Unterschicht würde etwa ›Räcohda‹ sagen und nur das erste R betonen. Der durchschnittliche College-Absolvent würde das Wort ›Recorda‹ aussprechen, wobei er das zweite R deutlich betont. Nur sehr überlegene, kultivierte Menschen sagen ›Recorder‹, so wie diese Frau, und betonen sorgfältig alle drei R.«
    »Wer hätte gedacht, daß man zwei Sätzen so viel entnehmen kann?« meinte Bo.
    Simon lächelte. Er sah zufrieden aus. »Ist Ihnen am Vokabular denn nichts aufgefallen?«
    Bo schüttelte den Kopf. »Nichts, auf das ich mich genau festlegen könnte.«
    »Was ist ein Tonbandgerät?«
    Bo lachte. »Ein Gerät, so groß wie ein kleiner Koffer, mit zwei Spulen obendrauf. Ich hatte eins in Vietnam – ein Grundig.«
    Judy erkannte, worauf Simon hinauswollte. Der Begriff ›Tonbandgerät‹ war veraltet. Heute benutzte man Kassettendecks. Beim Fernsehsender wurden mündliche Mitteilungen auf Datenträgern gespeichert. »Die Frau lebt in der Vergangenheit«, sagte Judy. »Da muß ich wieder an Patty Hearst denken. Was ist eigentlich aus ihr geworden?«
    »Sie hat ihre Zeit abgesessen«, erklärte Bo, »kam aus dem Gefängnis, schrieb ein Buch und erschien in Geraldo. Willkommen in Amerika.«
    Judy erhob sich. »Das war wirklich faszinierend, Simon, aber ich habe Schiß bei der ganzen Sache. Ich glaube, Sie sollten Ihren Bericht jetzt lieber zu Marvin bringen.«
    »Eines möchte ich Ihnen noch vorführen«, sagte Simon und drückte auf die Taste für Schnellvorlauf. »Wirklich …«
    »Hören Sie sich‘s einfach mal an.«Die Frauenstimme sagte: »Es passierte kurz nach zwei Uhr mittags im Owens Valley. Sie können es nachprüfen.«
    Ein schwaches Hintergrundgeräusch war zu vernehmen, und die Frau zögerte.
    Simon stoppte die Kassette. »Ich habe dieses seltsame leise Gemurmel akustisch verstärkt. Passen Sie auf, jetzt kann man es deutlich verstehen.«
    Er ließ die Kassette wieder anlaufen. Judy hörte eine Männerstimme, verzerrt vom Knistern und Rauschen im Hintergrund, aber deutlich genug, um den Mann verstehen zu können:
    »Wir erkennen die Staatsgewalt der US-Regierung nicht an.«
    Das Hintergrundgeräusch wurde wieder normal, und die Stimme der Frau wiederholte: »Wir erkennen die Staatsgewalt der US-Regierung nicht an.« Sie fuhr fort: »Da Sie jetzt wissen, daß wir keine leeren Drohungen ausstoßen, sollten Sie lieber noch mal über unsere Forderung nachdenken.«
    Simon stoppte das Band.
    »Sie hat gesagt, was der Mann ihr vorgesprochen hat«, sagte Judy, »und dann etwas vergessen; deshalb hat er sie daran erinnert.«
    »Wart ihr nicht zu dem Schluß gelangt«, fragte Bo, »daß diese Internet-Nachricht von einem Proleten, vielleicht sogar einem

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