Die Kinder Von Eden : Roman
schreiben – insgeheim hoffend, die Mühe möge dazu beitragen, daß die Aussicht, den jungen Burschen in zehn Jahren verhaften zu müssen, an Wahrscheinlichkeit verlor.
Am Nachmittag fuhr sie das kurze Stück von Bos Haus zu Gala Foods am Geary Boulevard und kaufte ein.
Doch die gewohnten samstäglichen Verrichtungen vermochten es diesmal nicht, Judys Gemüt zu besänftigen. Sie war wütend auf Brian Kincaid. Er hatte sie von dem Kinder-von-Eden-Fall abgezogen, und sie konnte nichts dagegen tun. Also stapfte sie die Regalreihen entlang und versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf Kartoffelchips, Puffreis und eine »Kollektion« mit gelbem Muster bedruckter Geschirrtücher zu lenken. Am Regal mit den Frühstücksflocken dachte sie an Dusty, Michaels Sohn, und kaufte eine Packung Cap‘n Crunch.
Doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem Fall zurück.
Gibt es da draußen wirklich jemanden, der Erdbeben hervorrufen kann? Oder habe ich nicht mehr alle Tassen im Schrank?
Als Judy wieder zu Hause war, half Bo ihr beim Auspacken der Lebensmittel und erkundigte sich nach dem Stand der Ermittlungen. »Marvin Hayes hat eine Razzia bei der Bewegung Grünes Kalifornien gemacht, hab‘ ich gehört.«
»Das dürfte ihm nicht viel eingebracht haben«, sagte Judy. »Die sind alle sauber. Raja hat sie schon am Donnerstag vernommen. Zwei Männer und drei Frauen, alle über fünfzig. Keine Strafregister – nicht mal ein Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsübertretung – und keinerlei Verbindung zu irgendwelchen verdächtigen Personen. Wenn diese Leute Terroristen sind, bin ich Kojak.«
»In den Fernsehnachrichten hieß es, Marvin überprüfe ihre Akten.«
»Stimmt. Dabei handelt es sich um eine Liste aller, die jemals an die Bewegung Grünes Kalifornien geschrieben und um Informationen gebeten haben, darunter auch Jane Fonda. Achtzehntausend Namen und Anschriften. Marvins Team muß jetzt jeden Namen durch den FBI-Computer jagen, um herauszufinden, bei wem sich eine Vernehmung lohnt. Das kann Wochen dauern.«
Es läutete an der Haustür. Judy öffnete und sah sich Simon Sparrow gegenüber.
Sie war überrascht, aber erfreut.
»Hallo, Simon! Kommen Sie rein.«
Er trug schwarze Radlershorts, ein enges T-Shirt, Nike-Sportschuhe und eine Panorama-Sonnenbrille. Doch er war nicht mit dem Fahrrad gekommen; sein smaragdgrüner Honda Del Sol stand mit offenem Verdeck am Straßenrand. Judy fragte sich, was ihre Mutter von Simon gehalten hätte. Netter Junge, hätte sie vielleicht gesagt. Aber kein richtiger Mann.
Bo schüttelte Simon die Hand; dann bedachte er Judy mit einem verstohlenen Blick, der besagte: Wer, zum Teufel, ist denn dieser Schwuli? Um so größer war sein Schock, als Judy erklärte:
»Simon ist einer der führenden Sprachanalytiker beim FBI.«
Ein wenig verwirrt sagte Bo: »Äh, ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Simon.«
Simon hatte eine Audiokassette und einen braunen Umschlag in der Hand. Er hielt beides in die Höhe. »Ich wollte Ihnen meinen Bericht über die Bandaufnahme von der Terroristengruppe bringen«, sagte er. »Diesen Kindern von Eden …«
»Ich arbeite nicht mehr an dem Fall«, erwiderte Judy.
»Weiß ich. Aber ich dachte mir, es interessiert Sie vielleicht trotzdem. Leider passen die Stimmen auf dem Band zu keiner einzigen, die wir in unserem Archiv haben.«
»Also habt ihr keine Namen.«
»Nein. Aber jede Menge interessantes Material.«
Judys Neugier war geweckt. »Sie sagten ›Stimmen‹. Ich habe nur eine gehört.«
»Nein, es sind zwei.« Simon schaute sich um und sah auf dem Küchentresen Bos alten Kassettenrecorder stehen. Der wurde normalerweise nur für Die größten Hits der Everly Brothers benutzt. Simon ließ die Klappe aufschnappen und schob seine Kassette ein. »Wir spielen das Band ab, und ich gebe Ihnen die entsprechenden Erklärungen.«
»Nichts wäre mir lieber, aber es ist jetzt Marvin Hayes‘ Fall.«
»Trotzdem möchte ich gern Ihre Meinung hören.«
Hartnäckig schüttelte Judy den Kopf. »Dann müssen Sie vorher mit Marvin reden.«
»Weiß ich, weiß ich. Aber Marvin ist ein Idiot. Wissen Sie, wie lange es her ist, seit er das letzte Mal ‚nen richtig schweren Jungen in den Knast gebracht hat?«
»Simon, wenn Sie mich dazu überreden wollen, hinter Kincaids Rücken an dem Fall zu arbeiten, dann können Sie sich das gleich abschminken.«
»Lassen Sie mich einfach machen, ja? Schaden kann es jedenfalls nicht.« Simon drehte die Lautstärke höher und
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