Die Kinder Von Eden : Roman
ausgehen, daß diel beiden Vater und Tochter sind.«
Judy wandte sich Carl zu. »Kommen Sie, gehen wir.«
Sie verließen das Büro. Als sie auf dem Flur waren, sagte Carl: »Du meine Güte. Sie haben ihm ja wirklich die Eier abgerissen.«
Judy war in Hochstimmung. »Aber wir haben eine weitere Person – das Kind.«
»Ja. Ich hoffe bloß, daß Sie nie mich erwischen, wenn ich mal einen Fehler mache.«
Judy blieb stehen und schaute ihn an. »Es war nicht der Fehler an sich, Carl. Wir alle bauen hin und wieder Mist. Aber Hayes hat versucht, die Nachforschungen zu behindern. Das war sein eigentlicher
Fehler. Deshalb steht er jetzt wie ein Esel da. Wenn Sie mal einen Fehler machen, geben Sie ihn lieber gleich zu.«
»Ja«, sagte Carl. »Aber ich glaube, bei Ihnen lasse ich die Beine dabei vorsichtshalber übereinandergeschlagen.«
Am späten Abend bekam Judy die erste Ausgabe des San Francisco Chronicle mit den zwei neuen Computer-Fahndungsbildern: dem E-fit von Florence Shoebury und dem neuen von Ricky Granger in der Maske des Peter Shoebury. Zuvor hatte Judy nur einen kurzen Blick auf die Bilder geworfen, bevor sie Madge Kelly gebeten hatte, sie an die Zeitungen und Fernsehstationen durchzugeben. Als Judy nun die Bilder im Licht ihrer Schreibtischlampe betrachtete, war sie erstaunt über die Ähnlichkeit zwischen Granger und Florence.
Die beiden sind unverkennbar Vater und Tochter. Was wohl mit dem Mädchen geschieht, wenn ich ihren Daddy hinter Gitter bringe?
Judy gähnte und rieb sich die Augen. Bos Ratschlag fiel ihr wieder ein. ›Mach Pausen, iß zu Mittag, und nimm dir den Schlaf, den du brauchst. ‹ Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen. Die Nachtschicht war bereits eingetroffen.
Auf der Heimfahrt ließ Judy den Tag und ihre Fortschritte bei den Ermittlungen Revue passieren. Als sie an einer Ampel stand und die Doppelreihen der Straßenlaternen betrachtete, die sich entlang des Geary Boulevard bis in die Unendlichkeit erstreckten, fiel ihr ein, daß Michael ihr gar nicht die versprochene Liste mit den möglichen Erdbebenorten gefaxt hatte.
Sie wählte seine Nummer am Autotelefon, doch niemand nahm dem Hörer ab, was Judy aus irgendeinem Grund beunruhigte. An der nächsten roten Ampel versuchte sie es noch einmal; diesmal war besetzt. Sie rief die Telefonzentrale im Office an und bat, bei Pacific Bell nachzufragen, ob unter Michaels Nummer zur Zeit ein Gespräch geführt wurde. Die Telefonzentrale rief Judy zurück und teilte ihr mit, dies sei nicht der Fall. Jemand hätte den Hörer abgenommen.
Also war Michael zu Hause, ging aber nicht an den Apparat. Seine Stimme hatte seltsam geklungen, als er anrief, um die Verabredung abzusagen. Aber das war nun mal seine Art; er konnte freundlich und charmant sein – doch schon im nächsten Augenblick schlug seine Stimmung abrupt um, und er wurde schwierig und arrogant. Aber weshalb hatte er den Hörer neben das Telefon gelegt? Judy beschlich ein unbehagliches Gefühl.
Sie schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war kurz vor elf.
Noch zwei Tage.
Ich habe keine Zeit, lange herumzutändeln.
Sie wendete den Wagen und fuhr in Richtung Berkeley. Viertel nach elf erreichte sie die Euclid Street. In Michaels Wohnung brannte Licht. Draußen stand ein alter orangefarbener Subaru. Judy hatte diesen Wagen schon einmal gesehen, wußte aber nicht, wem er gehörte. Sie parkte dahinter und klingelte an der Tür zu Michaels Wohnung. Niemand öffnete.
Sorge keimte in Judy auf. Michael besaß entscheidend wichtige Informationen. Erst heute hatte sie ihm eine Schlüsselfrage gestellt – und wenige Stunden später sagte er ganz plötzlich eine Verabredung ab und unterbrach schließlich jede Verbindung zur Außenwelt.
Das war verdächtig.
Judy fragte sich, was sie tun sollte. Die Polizei anrufen, um Unterstützung bitten und gewaltsam ins Haus eindringen? Es konnte sein, daß Michael gefesselt in seiner Wohnung lag. Oder tot.
Sie ging zum Wagen zurück und nahm das Mikrofon des Funkgeräts aus der Halterung, zögerte dann aber. Wenn jemand um elf Uhr abends den Hörer neben das Telefon legte, konnte er viele Gründe dafür haben. Vielleicht wollte er in Ruhe schlafen. Vielleicht wollte er mit einer Frau ins Bett – wenngleich Michael zu sehr an ihr, Judy, interessiert zu sein schien, als daß er solche Spielchen trieb. Er ist nicht der Typ, überlegte Judy, der jede Nacht mit einer anderen schläft.
Während sie unschlüssig im Wagen saß, näherte sich eine junge
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