Die Kinder Von Eden : Roman
zurückgezogen, um noch Großmut zeigen zu können. Falls sie sich tatsächlich irrte, wäre das sehr peinlich. Aber es war ihr egal.
Judy blätterte rasch die Papiere durch. Sie sah mehrere Faxmitteilungen von Zeitungen, die sich nach Einzelheiten der Pressekonferenz erkundigt hatten; eine Notiz darüber, wie viele Stühle gebraucht wurden, und eine Besucherliste – ein Formular, auf dem die Journalisten, die der Pressekonferenz beigewohnt hatten, gebeten wurden, ihre Namen sowie die Namen der Zeitungen oder Radio- und Fernsehsender einzutragen, für die sie arbeiteten. Judy überflog die Liste.
»Was, zum Teufel, ist das hier?« fragte sie plötzlich. »Florence Shoebury, Eisenhower Junior High School?«
»Sie wollte für ihre Schülerzeitung über die Pressekonferenz berichten«, erklärte Marvin. »Was sollten wir denn tun? Ihr sagen, daß sie sich verpissen soll?«
»Haben Sie das Mädchen überprüft?«
»Sie ist ein Kind!«
»War sie allein?«
»Sie war mit ihrem Vater gekommen.«
An das Formular war eine Visitenkarte geheftet. »Peter Shoebury, von Watkins, Colefax und Brown. Haben Sie wenigstens, diesen Mann überprüft?«
Marvin zögerte einen Augenblick, ehe er sein Versäumnis eingestand.
»Nein«, sagte er schließlich. »Brian hatte beschlossen, diesen Shoebury und seiner Tochter die Teilnahme an der Pressekonferenz zu erlauben. Ich habe die Sache dann nicht mehr weiterverfolgt.«
Judy reichte Carl das Formular mitsamt der angehefteten Visitenkarte. »Rufen Sie diesen Burschen sofort an«, sagte sie.
Carl setzte sich in den nächsten Sessel und nahm den Hörer ab.
»Sagen Sie mal«, fragte Marvin, »was macht Sie eigentlich so sicher, daß wir mit dem Täter gesprochen haben?«
»Mein Vater hält es für möglich.« Kaum hatte Judy die Worte ausgesprochen, erkannte sie, daß sie einen Fehler begangen hatte.
Marvin grinste hämisch. »Oh, Ihr Daddy hält es für möglich, Sind wir schon so tief gesunken? Sie schnüffeln mir nach, weil Ihr Daddy es Ihnen gesagt hat?«
»Halten Sie die Klappe, Marvin. Mein Vater hat schon schwere Jungs in den Knast befördert, als Sie noch ins Bett gepinkelt haben.«
»Was haben Sie überhaupt mit den Akten vor? Wollen Sie versuchen, mir was anzuhängen? Suchen Sie jemand, dem Sie die Schuld zuschieben können, wenn Sie versagen?«
»Was für ein großartiger Einfall«, erwiderte Judy. »Warum bin ich da nicht bloß selber drauf gekommen?«
Carl legte den Hörer auf. »Judy«, sagte er.
»Ja.«
»Peter Shoebury ist niemals in diesem Gebäude gewesen, und er hat keine Tochter. Aber er wurde am Samstagmorgen überfallen, zwei Querstraßen von hier. Man hat ihm die Brieftasche geraubt, in der seine Visitenkarten steckten.«
Für einen Augenblick trat Stille ein; dann sagte Marvin: »Oh, verflucht!«
Judy ignorierte seine Verlegenheit. Die Neuigkeit war viel zu aufregend. Hier konnte sich eine vollkommen neue Informationsquelle auftun.
»Ich nehme an, Ihr Mr. Shoebury sah nicht aus wie der Mann auf dem Computer-Fahndungsbild, das wir aus Texas bekommen haben.«
»Überhaupt nicht«, sagte Marvin. »Kein Bart, kein Hut. Er trug eine Brille mit großem Gestell und hatte sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.«
»Das ist wahrscheinlich wieder nur eine Maske. Wie steht‘s mit der Körpergröße des Mannes, seinem Körperbau und so weiter?«
»Groß. Schlank.«
»Dunkles Haar, dunkle Augen, um die fünfzig?«
»Ja, ja und ja.«
Judy hatte beinahe Mitleid mit Marvin. »Der Mann war Ricky Granger, nicht wahr?«
Marvin starrte auf den Teppich, als wünschte er sich, der Boden würde sich auftun und ihn verschlingen. »Ja, wahrscheinlich.«
»Wären Sie dann wohl so freundlich, ein neues Computer-Fahndungsbild erstellen zu lassen?«
Marvin nickte, wobei er Judy immer noch nicht anschaute. »Ja, sicher.«
»Und was ist mit Florence Shoebury?«
»Nun ja, sie hat uns gewissermaßen entwaffnet. Ich meine, welcher Terrorist schleppt seine eigene kleine Tochter mit?«
»Ein völlig skrupelloser Terrorist. Wie sah das Kind aus?«
»Eine Weiße. Zwölf, dreizehn Jahre alt. Dunkles Haar, dunkle Augen, zierlich und schlank. Hübsch.« »Lassen Sie auch von der Kleinen ein Fahndungsbild erstellen. Glauben Sie, das Mädchen war wirklich seine Tochter?«
»Oh, sicher. Es hatte jedenfalls ganz den Anschein. Nichts deutete darauf hin, daß das Mädchen unter Zwang stand, falls Sie das glauben sollten.«
»Aha. Okay, dann will ich vorerst mal davon
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