Die Kinder Von Eden : Roman
gedacht, irgendeinen Deal zu machen. Das Ganze war eine Falle gewesen. Die FBI-Leute hatten sich vorgestellt, er, Priest, würde ihnen leicht und locker ins Netz gehen wie ein bescheuerter Schmalspur-Ganove. Dieser Mangel an Respekt hatte ihn am meisten geärgert: Sie hielten ihn für einen ausgemachten Trottel.
Aber sie werden schon noch auf den Trichter kommen und diese Lektion werden sie so schnell nicht vergessen.
Ein weiteres Erdbeben.
Sämtliche Kommunarden waren noch immer unglücklich darüber, daß Dale und Poem sie verlassen hatten – zumal es sie an das erinnerte, was sie verdrängt hatten: daß sie alle am morgigen Tag das Tal verlassen mußten.
Priest berichtete den Reisessern, unter welchem Druck die Staatsregierung inzwischen stand. Die Fernstraßen waren immer noch verstopft mit Kombis und Kleinbussen voller Kinder und Koffer, die vor dem drohenden Erdbeben flüchteten. In den zur Hälfte verlassenen Wohngegenden hatten die Einwohner fast alles zurückgelassen, so daß Plünderer in den Vororten reihenweise Mikrowellenherde, CD-Player und Computer abräumten.
Aber sie alle wußten auch, daß der Gouverneur kein Zeichen des Einlenkens hatte erkennen lassen. Obwohl es Samstagabend war, wurde in der Kommune nicht gefeiert. Nach dem Abendessen und dem abendlichen Gebet hatten die meisten sich in ihre Hütten zurückgezogen. Melanie begab sich zur Schlafbaracke, um den Kindern vorzulesen. Priest saß vor seiner Hütte. Er schaute zu, wie der Mond im Tal unterging, und wurde allmählich ruhiger. Er öffnete eine fünf Jahre alte Flasche seines eigenen Weines, ein Jahrgang, dessen rauchiges Bukett er liebte.
Es ist eine Nervenschlacht, sagte er sich, als er wieder ruhiger denken konnte. Wer hatte das größere Durchhaltevermögen – er oder der Gouverneur? Wer von beiden konnte seine Leute besser unter Kontrolle halten? Würde das Erdbeben die Regierung Kaliforniens in die Knie zwingen, bevor das FBI Priest in seinem Bau in den Bergen aufstöbern konnte?
Er sah Star näherkommen, deren Gestalt sich gegen das Mondlicht abzeichnete. Sie war barfuß und rauchte einen Joint, nahm einen tiefen Zug, beugte sich herunter und küßte Priest mit offenem Mund. Er inhalierte den berauschenden Rauch aus Stars Lungen, atmete ihn aus, lächelte und sagte: »Ich weiß noch, wie du das zum erstenmal getan hast. Es war die geilste Sache, die ich je erlebt hatte.«
»Wirklich?« erwiderte Star. »Geiler, als einen geblasen zu bekommen?«
»Viel geiler. Du weißt doch, ich war sieben Jahre alt, als ich zum erstenmal gesehen hab‘, wie meine Mutter ‚nem Freier einen geblasen hat. Sie hat die Kerle aber nie geküßt. Ich war der einzige, der ‚nen Kuß von ihr bekam. Das hat sie mir selbst gesagt.«
»Mann, Priest, was für ein beschissenes Leben du hattest.«
Er runzelte die Stirn. »Du redest so, als war‘s zu Ende.«
»Na ja, dieser Teil deines Lebens, hier im Tal, ist zu Ende, nicht?« »Nein!«
»Es ist fast Mitternacht. Dein Ultimatum läuft gleich ab. Und der Gouverneur wird nicht nachgeben.«
»Er muß«, sagte Priest. »Ist bloß ‚ne Frage der Zeit.« Er stand auf. »Ich werd‘ mir jetzt die Nachrichten im Radio anhören.«
Star begleitete Priest, als dieser im Mondlicht das Weingut überquerte und den Pfad zu den geparkten Fahrzeugen hinaufstieg. »Laß uns von hier verschwinden«, sagte Star plötzlich. »Nur du und ich und Flower. Wir steigen in den Wagen, jetzt gleich, und hauen ab. Wir sagen nicht auf Wiedersehen, wir packen keine Taschen, wir nehmen nicht mal Sachen zum Wechseln mit. Wir machen einfach die Mücke, genau so, wie ich ‚69 aus San Francisco verschwunden bin. Wir fahren dorthin, wohin der Wind uns treibt – nach Oregon oder Las Vegas, vielleicht sogar nach New Y ork. Oder wie war‘s mit Charleston? Ich wollte schon immer mal den Süden sehen.«
Ohne zu antworten, stieg Priest in den Cadillac und schaltete das Radio ein. Star setzte sich neben ihn.
Aus dem Radio erklang Brenda Lees Let‘s Jump the Broomstick.
»Sag schon, Priest, was hältst du von meinem Vorschlag?«
Die Nachrichtensendung begann, und Priest drehte die Lautstärke höher.
»Der vermutliche Anführer der Terroristengruppe Kinder von Eden, Richard Granger, ist dem FBI heute in Sacramento durch die Finger geschlüpft. Währenddessen haben Tausende, die aus den Gegenden in der Nähe der St.-Andreas-Spalte flüchten, den Verkehr auf vielen Autobahnen und Fernstraßen im Gebiet der Bucht von San Francisco
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