Die Kinder Von Eden : Roman
Schwarzweißfoto und sah eine junge Frau um die zwanzig mit einem sinnlichen, lächelnden Gesicht, umrahmt von welligem dunklem Haar, und mit einem breiten, üppigen Mund, wie Simon Sparrow vorhergesagt hatte.
»Sie war wunderschön«, murmelte Judy vor sich hin und forschte in dem Gesicht nach irgendeinem Ausdruck von Verrücktheit, die einen Menschen dazu bringen mochte, mit einem Erdbeben zu drohen, konnte jedoch keinerlei Anzeichen dafür erkennen. Sie sah bloß eine junge Frau voller Hoffnung und Vitalität.
Was ist in ihrem Leben schiefgegangen?
»Könnten wir uns die Platte ausleihen?« fragte Judy.
Vic blickte sie verdrossen an. »Ich will Platten verkaufen, nicht verleihen«, sagte er.
Judy wollte sich nicht auf Diskussionen einlassen. »Wieviel?«
»Fünfzig Mäuse.«
»In Ordnung.«
Vic stellte den Plattenspieler ab, nahm die Scheibe vom Drehteller und ließ sie in die Papierhülle gleiten. Judy bezahlte. »Danke, Vic. Wir wissen Ihre Hilfe zu schätzen.«
Auf der Rückfahrt in Rajas Wagen sagte sie: »Stella Higgins … Wo hab‘ ich diesen Namen bloß schon mal gelesen?«
Raja schüttelte den Kopf. »Bei mir läutet‘s da nirgends.«
Als sie ausstiegen, reichte Judy ihm die Platte. »Lassen Sie von dem Foto der Frau Vergrößerungen machen, und schicken Sie sie an sämtliche Polizeireviere. Und geben Sie Simon Sparrow die Platte. Man kann nie wissen, was er vielleicht noch herausfindet.«
Sie betraten die Einsatzzentrale. Der große Ballsaal war jetzt voller Menschen, und man hatte die Leitstelle um einen zusätzlichen Tisch erweitert. Unter den Personen, die sich um die Zentrale drängten, befanden sich nun einige weitere hohe Beamte aus dem FBI-Hauptquartier in Washington; außerdem Vertreter der Stadt, des Staates und verschiedener Bundesbehörden zur Katastrophenbekämpfung.
Judy ging zum Tisch des Nachrichten- und Ermittlungsteams. Die meisten ihrer Leute telefonierten, gingen Hinweisen nach, verfolgten Spuren. Judy wandte sich an Carl Theobald. »An welcher Sache sind Sie dran?«
»Ich checke die Anrufe, in denen behauptet wird, daß ein brauner Plymouth Barracuda gesehen wurde.« »Ich hab‘ was Besseres für Sie. Holen Sie sich die CD-ROM mit sämtlichen Telefonnummern in Kalifornien, und suchen Sie nach dem Namen Stella Higgins.«
»Und wenn ich ihn finde?«
»Rufen Sie ihre Nummer an und stellen Sie fest, ob die Stimme der Frau sich wie die auf der Bandaufnahme von John Truth anhört.«
Judy setzte sich an den Computer, gab den Namen Stella Higgins ein und führte einen Suchlauf nach Vorstrafen durch. Tatsächlich war eine Frau dieses Namens verurteilt worden: einmal wegen Besitzes von Marihuana zu einer Geldstrafe, ein andermal wegen tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten bei einer Demonstration zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung. Dem Geburtsdatum nach konnte es die Gesuchte sein. Die Frau wohnte an der Haight Street. Es gab kein Foto in der Datenbank, doch es schien sich um die Stella Higgins zu handeln.
Beide Strafen waren im Jahre 1968 verhängt worden; von da an war Stella Higgins nicht mehr straffällig geworden.
Genauso wie Ricky Granger, der Anfang der siebziger Jahre in der Versenkung verschwunden war. Judy druckte die Datei aus und heftete sie an das Schwarze Brett ›Verdächtige‹. Sie schickte einen Agenten los, der die Adresse in der Haight Street überprüfen sollte, obwohl Judy sicher war, daß Stella Higgins nach nunmehr dreißig Jahren längst nicht mehr dort wohnte.
Judy spürte eine Hand auf der Schulter. Es war Bo. In seinen Augen lag Besorgnis. »Was ist mit dir passiert, mein Kleines?« Sanft tippte er mit den Fingerspitzen gegen den Verband auf ihrer Nase.
»Ich war unvorsichtig, fürchte ich.«
Bo küßte sie auf den Scheitel. »Ich hab‘ heute Nachtdienst, aber ich mußte einfach vorbeikommen und sehen, wie es dir geht.«
»Wer hat dir erzählt, daß ich verletzt wurde?«
»Dieser verheiratete Kerl, Michael.«
Dieser verheiratete Kerl. Judy grinste. Er will mich daran erinnern, daß Michael einer anderen Frau gehört.
»Es ist nicht weiter schlimm, aber ich werde wohl eine Zeitlang mit zwei prächtigen Veilchen herumlaufen.«
»Du brauchst Ruhe. Wann kommst du nach Hause?«
»Kann ich nicht sagen. Mir ist gerade ein großer Wurf gelungen. Komm, setz dich.« Judy erzählte ihm
von Raining Fresh Daisies.
»So wie ich es sehe, ist Stella Higgins ein sehr schönes Mädchen, das im San Francisco der sechziger Jahre lebt, auf
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