Die Kinder Von Eden : Roman
wieder in den Streifenwagen und fuhr die Straße hinunter.
Michael war verschwunden. Judy ging ins Innere des Lagerhauses, um Ausschau nach ihm zu halten.
Sie sah ihn in einer Blutlache auf dem Betonboden sitzen. Doch er war unverletzt. Er hielt Melanie in den Armen. Ihr Gesicht war noch bleicher als üblich, und ihr eng sitzendes T-Shirt war von Blut durchtränkt, das aus einer Schußwunde in der Brust stammte.
Michaels Gesicht war vor Schmerz und Trauer verzerrt.
Judy ging zu ihm, kniete sich neben ihm nieder. Sie fühlte an Melanies Halsschlagader nach den Puls. Ihr Herz schlug nicht mehr.
»Tut mir leid, Michael«, sagte sie. »Es tut mir schrecklich leid.« Er schluckte. »Dusty … der arme kleine Kerl.« Judy legte ihm die Hand auf die Wange. »Es wird alles wieder gut«, sagte sie.
Augenblicke später tauchte Lieutenant Forbes wieder auf. »Entschuldigung, Ma‘am«, sagte er höflich. »Sagten Sie nicht vorhin, in dem Laster sei ein toter Mann?«
»Ja«, erwiderte Judy. »Ich habe ihn in der Fahrerkabine erschossen.«
»Tja«, sagte der Cop, »jetzt ist er nicht mehr drin.«
Kapitel 22
Star wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Zu Anfang war das Gefängnis eine Tortur. Der reglementierte Tagesablauf war die Hölle für einen Menschen, der sein bisheriges Leben in völliger Freiheit verbracht hatte. Dann verliebte sich eine hübsche Aufseherin namens Jane in Star; sie brachte ihr Make-up und Bücher und Marihuana, und für Star ging es allmählich bergauf.
Flower wurde in die Obhut von Pflegeeltern gegeben – ein Methodistenpfarrer und dessen Frau. Sie waren warmherzige Menschen, die nicht verstehen konnten, woher Flower kam. Flower vermißte ihre Eltern; ihre schulischen Leistungen waren jämmerlich, und sie bekam noch mehr Schwierigkeiten mit der Polizei. Dann, ein paar Jahre später, fand sie ihre Großmutter. Veronica Nightingale war erst dreizehn gewesen, als sie Priest zur Welt gebracht hatte; deshalb war sie erst Mitte sechzig, als sie und Flower sich kennenlernten. Veronica besaß in Los Angeles einen Laden, in dem Sexspielzeuge, Reizwäsche und Pornovideos verkauft wurden. Sie hatte ein Apartment in Beverly Hills und fuhr einen roten Sportwagen, und sie erzählte Flower Geschichten über ihren Daddy, als dieser noch ein kleiner Junge gewesen war. Flower türmte aus dem Haus des Pfarrers und zog zu ihrer Großmutter. Oaktree verschwand von der Bildfläche. Judy wußte, daß bei der Katastrophe in Felicitas eine vierte Person, ein Mann, im Barracuda gesessen hatte, und nach und nach hatte sie sich ein Bild davon machen können, welche Rolle dieser Mann bei der ganzen Sache gespielt hatte. Judy hatte sogar seine Fingerabdrücke – sämtliche Fingerabdrücke: Das FBI hatte sie in seiner Tischlerei in der Kommune genommen. Doch niemand wußte, wohin der Mann verschwunden war. Einige Jahre später jedoch wurden seine Fingerabdrücke in einem gestohlenen Wagen entdeckt, der bei einem bewaffneten Banküberfall in Seattle benutzt worden war. Die Polizei hatte Oaktree nicht in Verdacht, da er ein wasserdichtes Alibi vorweisen konnte, doch Judy wurde automatisch informiert, wie es den Vorschriften entsprach. Als sie die Akte gemeinsam mit dem Staatsanwalt – ihrem alten Freund Don Riley, der inzwischen eine Versicherungsvertreterin geheiratet hatte – noch einmal durchging, erkannten beide, daß das Beweismaterial für eine Anklage wegen Beteiligung an den Erpressungen und Terroranschlägen der Kinder von Eden zu dürftig war. Sie beschlossen, Oaktree in Ruhe zu lassen.
Milton Lestrange starb an Krebs. Brian Kincaid trat in den Ruhestand. Marvin Hayes kündigte seinen Dienst auf und wurde Sicherheitschef einer Supermarktkette.
Michael Quercus erlangte bescheidene Berühmtheit. Da er ein gutaussehender Mann war und die Seismologie allgemeinverständlich erklären konnte, wurde er immer dann von Fernsehsendern verpflichtet, wenn diese Erläuterungen in Sachen Erdbeben wünschten.
Judy wurde zum Supervisor befördert. Sie zog zu Michael und Dusty. Als Michaels Beraterfirma in Schwung kam und ihm ordentlich Geld einbrachte, kauften sie gemeinsam ein Haus und beschlossen, für Nachwuchs zu sorgen: Einen Monat später war Judy schwanger, und die beiden heirateten. Bo weinte bei der Hochzeit.
Judy fand heraus, wie Granger entkommen war.
Die Schußwunde in seinem Gesicht war gräßlich, aber keine schwere Verletzung. Die Kugel in der Schulter hatte eine Arterie gestreift; durch den plötzlichen
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