Die Kinder Von Eden : Roman
positioniert werden mußte.
Jetzt kam es nur noch darauf an, Michael für eine Weile aus dem Zimmer zu locken, so daß Melanie die Diskette aus dem Laufwerk klauen konnte.
»Sagen Sie mal, Michael«, begann Priest. »Mit all diesem Zeug hier …«
Mit einer ausholenden Handbewegung deutete er auf Karte und Geräte. Dann fixierte er Michael mit dem Blick. »Wie fühlen Sie sich eigentlich dabei?«
Die meisten Menschen wurden nervös, wenn Priest sie mit dem Blick ins Visier nahm und ihnen eine persönliche Frage stellte. Manchmal verwirrte er sie dermaßen, daß sie mit ihrer Antwort etwas preisgaben, was sie sonst niemals erwähnt hätten. Michael dagegen reagierte, als wäre er gegen den Blick immun. Ungerührt sah er Priest in die Augen und sagte: »Ich fühle gar nichts. Ich benutze es.« Dann wandte er sich an Melanie und fuhr fort: »Würdest du mir jetzt vielleicht mitteilen, weshalb du so mir nichts, dir nichts verschwunden bist?«
Arroganter Pinsel.
»Das ist ganz einfach«, sagte sie. »Eine Freundin bot mir und Dusty an, eine Zeitlang in ihrer Berghütte zu wohnen.« Priest hatte ihr eingeschärft, den Namen der Berge nicht zu erwähnen. »Siewar bereits vermietet, doch die Buchung wurde in letzter Minute storniert.« Melanies Ton verriet, daß sie überhaupt nicht einsah, warum sie solche Banalitäten auch noch erklären sollte. »Und da wir uns sonst keine Ferien leisten können, habe ich sofort zugegriffen.«
Auf diese Weise hatte Priest sie kennengelernt. Melanie und Dusty hatten sich im Wald verlaufen. Melanie, ein Großstadtkind durch und durch, war nicht einmal in der Lage, sich am Sonnenstand zu orientieren. Es war ein wunderschöner, sonniger und milder Frühlingsnachmittag gewesen. Priest hatte sich ohne Begleitung aufgemacht, um Lachse zu angeln. Er saß an einem Bachufer und rauchte gerade einen Joint, als er plötzlich ein Kind weinen hörte.
Sofort war ihm klar, daß es sich nicht um ein Kind aus der Kommune handeln konnte; das hätte er an der Stimme erkannt. Er ging dem Geräusch nach und stieß wenig später auf Dusty und Melanie. Die junge Frau war den Tränen nahe. Als sie Priest erblickte, sagte sie: »Gott sei Dank, ich dachte schon, wir müßten hier draußen elendig zugrundegehen!«
Ungläubig hatte er sie angestarrt. Auf den ersten Blick wirkte sie mit ihren langen roten Haaren und den grünen Augen etwas unheimlich; andererseits trug sie abgeschnittene Jeans mit einem rückenfreien Top und sah darin zum Vernaschen aus. Priest kam es wie Zauberei vor, daß ihm da mitten in der Wildnis eine bildhübsche Maid begegnete, die sichtlich seiner Hilfe bedurfte. Ohne den Jungen an ihrer Seite hätte er gleich an Ort und Stelle versucht, sie zu verführen, gleich neben dem schäumenden Bach auf einem federnden Polster aus abgefallenen Kiefernnadeln.
Das war der Moment gewesen, in dem er sie gefragt hatte, ob sie vom Mars komme.
»Nein«, hatte sie geantwortet, »aus Oakland.«
Priest wußte, wo die Ferienhütten standen. Er nahm seine Angelrute und führte die beiden über ihm wohlvertraute Pfade und. Hügel zurück. Es war ein langer Marsch, auf dem er sich eingehend mit ihr unterhielt. Er stellte Fragen, aus denen sein Mitgefühl sprach, schenkte ihr ab und zu sein gewinnendes Lächeln – und fand alles über sie heraus, was er wissen wollte.
Melanie war eine Frau, die bis zum Hals in Schwierigkeiten steckte.
Sie hatte ihren Ehemann verlassen und war zunächst zu dem Baßgitarristen einer heißen Rockband gezogen, doch der hatte sie nach ein paar Wochen wieder hinausgeworfen. Danach gab es keinen Menschen mehr, an den sie sich hätte wenden können: Ihr Vater war tot, und ihre Mutter lebte in New York mit einem Typen zusammen, der in der einzigen Nacht, die Melanie in der dortigen Wohnung verbrachte, gleich versucht hatte, zu ihr ins Bett zu steigen. Die Gastfreundschaft ihrer Freundinnen und Freunde hatte sie ebenso überstrapaziert wie deren Fähigkeit und Bereitschaft, ihr Geld zu leihen. Ihre berufliche Karriere war längst im Eimer. Sie gab Dusty tagsüber in die Obhut einer Nachbarin, nahm einen Job in einem Supermarkt an und füllte leere Regale auf. Sie wohnten in einem Slum, der so schmutzig war, daß der Junge unentwegt an schweren Allergieschüben litt. Sie brauchten unbedingt einen Ort, wo es reine Atemluft gab, doch außerhalb der Stadt fand sie keine Arbeit. Melanie steckte in der Sackgasse und sah keinen Ausweg mehr. Als sich schließlich die Freundin gemeldet
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