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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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die Augen geschlossen, ließ die Arme locker hängen und konzentrierte seine Energien. Das war alles andere als fauler Zauber. Die Meditationstechniken, die Star ihm beigebracht hatte, funktionierten tatsächlich. Er spürte, wie sein Geist klarer wurde, ähnlich wie der Wein in seinen Fässern. Er betete darum, daß sich das Herz des Gouverneurs Mike Robson erweichen und der Mann einen Baustopp für sämtliche Kraftwerksprojekte in Kalifornien verkünden möge. Er stellte sich vor, wie der gutaussehende Gouverneur in dunklem Anzug und weißem Hemd auf einem Lederstuhl hinter einem polierten Schreibtisch saß und sagte: »Ich habe beschlossen, diesen Leuten ihren Wunsch zu erfüllen – nicht nur, weil ich ein Erdbeben vermeiden möchte, sondern weil ihre Forderung vernünftig ist.«
    Nach wenigen Minuten hatten sich Priests geistige Kräfte erneuert. Er fühlte sich hellwach, zuversichtlich und konzentriert.
    Als er den Tempel wieder verließ, beschloß er, nach den Reben zu sehen.
    Ursprünglich war hier kein Wein gewachsen. Als Star in dieses Tal gezogen war, gab es nichts weiter als eine verfallene Jagdhütte. Von Streit zerrissen und nach jedem Gewittersturm fast davongeschwemmt, war die Kommune drei Jahre lang von einer Krise in die andere geschlittert und hatte sich nur durch Betteltouren in die Städte am Leben erhalten. Dann war Priest gekommen.
    Es hatte kein Jahr gedauert, bis er zum anerkannten, gleichberechtigten Anführer neben Star aufgestiegen war. Zuerst organisierte er die Betteltouren und sorgte dafür, daß möglichst viel dabei heraussprang.
    Städte wie Sacramento oder Stockton wurden zum Beispiel an Samstagvormittagen aufgesucht, wenn es in den Straßen von Leuten wimmelte, die ihre Wochenendeinkäufe erledigten. Jeder Kommunarde bekam seinen eigenen Standort zugewiesen und jeder seinen individuellen Spruch: Aneth behauptete, sie wolle sich das Geld für eine Busfahrkarte nach New York zusammensparen, damit sie zu ihrer Familie zurückkehren könne; Song klimperte auf ihrer Gitarre herum und sang There but for Fortune; Slow gab vor, seit drei Tagen nichts gegessen zu haben; und Bones brachte die Leute zum Lachen mit einem Schild, auf dem stand: »Warum lügen? Ich brauche Geld für Bier.«
    Aber das Betteln war nur eine Zwischenlösung. Unter Priests Führung terrassierten die Hippies den Hang, leiteten zur Bewässerung einen Bach um und pflanzten Reben. Die harte Teamarbeit schmiedete die Gruppe zusammen, und der Wein bot ihnen die Chance zu einem Leben ohne Bettelei. Mittlerweile galt ihr Chardonnay unter Kennern als Geheimtip.Priest schritt die Reben entlang, die in Reih und Glied standen.Zwischen den Weinstöcken waren Krauter und Blumen angepflanzt, teils, weil sie verwertbar waren und hübsch aussahen, vor allem aber, weil sie Marienkäfer und Wespen anlockten, die Blattläuse und andere Schädlinge vertilgten. Die Kommune verließ sich auf natürliche Methoden der Schädlingsbekämpfung und kam ohne Chemikalien aus. Auch Klee baute sie an, weil er den Stickstoffeintrag aus der Luft band und untergepflügt als natürlicher Dünger wirkte.
    Die Reben hatten junge Triebe angesetzt, und jetzt, Ende Mai, war die Gefahr, daß sie durch späte Nachtfröste abstarben, praktisch vorüber. Die Hauptarbeit bestand gegenwärtig darin, die neuen Schößlinge hochzubinden, um ihre Wuchsrichtung zu kontrollieren und möglichen Windschäden vorzubeugen.
    Priests Kenntnisse im Weinbau stammten aus seiner Zeit als Spirituosengroßhändler, und Star hatte sich mit Hilfe von Büchern in die Thematik eingearbeitet. Dennoch hätten sie es ohne den alten Raymond Dellavalle kaum geschafft. Der gutmütige Winzer hatte ihnen unter die Arme gegriffen, weil er, wie Priest vermutete, insgeheim wünschte, seine eigene Jugend wäre etwas abenteuerlicher verlaufen.
    Priests Weinberg hatte die Kommune gerettet – und die Kommune Priest. Er war als Flüchtling hierher gekommen. Die Mafia, die Polizei von Los Angeles und das Finanzamt, alle drei waren hinter ihm her gewesen. Er soff und kokste regelmäßig, war einsam und mittellos und wurde von Selbstmordgedanken heimgesucht. Den vagen Angaben eines Anhalters folgend, war er den Weg hinaufgefahren, so weit es ging, und durch den Wald gewandert, bis er plötzlich auf eine Gruppe nackter Hippies stieß, die auf dem Boden saßen und sangen. Lange Zeit hatte er sie nur angeglotzt, wie gebannt von dem Mantra und dem Gefühl tiefer innerer Ruhe, das von ihnen aufstieg wie

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