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Die Kinder Von Eden : Roman

Die Kinder Von Eden : Roman

Titel: Die Kinder Von Eden : Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Sierra Nevada erstreckten, dann bot sich ihm eine Aussicht von geradezu schmerzvoller Schönheit.
    Jedesmal wenn er daran dachte, daß er diese grandiose Szenerie vielleicht schon bald zum letztenmal sehen würde, durchfuhr es ihn wie ein Messerstich.
    Auf einem Felsen am Flußufer war ein Holzkasten befestigt, in dem sich Seife, billiges Rasierzeug und ein Handspiegel befanden. Priest schäumte sich das Gesicht ein und rasierte sich; dann ging er ins kalte Wasser, wusch sich von Kopf bis Fuß und trocknete sich rasch mit dem rauhen Handtuch ab.
    Eine Wasserleitung gab es nicht. Im Winter, wenn es zu kalt war, um draußen im Fluß zu baden, gab es zweimal die Woche einen gemeinsamen Badeabend im Küchenhaus. Da machten sie in großen Bottichen heißes Wasser und wuschen sich gegenseitig -was durchaus nicht ohne erotischen Reiz war. Im Sommer gab es warmes Wasser nur für Babys.
    Er stieg die Uferböschung hoch, schlüpfte in seine üblichen Klamotten – Blue Jeans und Arbeitshemd – und ging zum Küchenhaus. Die Tür war nicht verschlossen; es gab keine Türschlösser in der Siedlung. Er schichtete Holz zurecht, entzündete ein Feuer, setzte einen Topf Wasser für den Kaffee auf und ging wieder hinaus.
    Priest streunte gerne durch die Siedlung, wenn alle anderen noch in ihren Betten lagen. Er flüsterte die Namen derer, an deren Hütten er vorbeikam: »Moon. Chocolate. Giggle.« Er stellte sich die Schlafenden auf ihren Lagern vor: Apple, ein pummeliges Mädchen, auf dem Rücken liegend und mit offenem Mund schnarchend; Juice und Alaska, zwei Frauen mittleren Alters, in enger Umarmung; die Kinder in der Schlafhütte – Flower, Ringo und Smiler, deren Vater er war; Melanies Dusty; die Zwillinge Bubble und Chip, alle rosawangig und wuschelköpfig …
    Mein Volk.
    Möge es ewig hier leben!
    Er kam an der Werkstatt vorbei, wo sie die Spaten, Hacken und Rebscheren aufbewahrten; an dem betonierten Kreis, auf dem sie im Oktober die Trauben stampften; an dem Schuppen, wo in riesigen
    Holzfässern der Wein der Vorjahresernte lagerte, sich langsam setzte und klärte. Inzwischen war er fast soweit, daß man ihn verschneiden und in Flaschen abfüllen konnte.
    Vor dem Tempel hielt Priest inne.
    Von Anfang an hatten sie darüber gesprochen, eines Tages einen Tempel zu errichten, doch war dieser Traum jahrelang unerfüllbar geblieben. Es gab immer viel zu viel anderes zu tun – sie mußten Land roden, Reben pflanzen, Scheunen und Ställe bauen, den Gemüsegarten anlegen, den Laden aufbauen und die Kinder unterrichten. Erst vor fünf Jahren war es dann soweit gewesen: Die Kommune besaß endlich eine solides Fundament. Zum erstenmal brauchte sich Priest keine Sorgen darüber zu machen, ob sie im kommenden Winter genug zu essen haben würden. Auch bestand kein Grund mehr zu der Befürchtung, eine einzige schlechte Ernte könne ihnen den Rest geben. Alle vordringlichen Aufgaben, die Priest in seinem Kopf aufgelistet hatte, waren erledigt. Also hatte er verkündet, es sei an der Zeit, den Tempel zu errichten.
    Und da stand er nun.
    Der Tempel bedeutete Priest sehr viel. Er zeigte, daß seine kleine Gemeinschaft gereift war. Sie lebte nicht mehr nur von der Hand in den Mund. Sie konnte sich selbst ernähren und hatte obendrein noch genug Zeit und Energie, sich eine Andachtsstätte zu bauen. Er und seine Gemeinde waren keine HippieHorde mehr, die idealistischen Hirngespinsten nachhing. Sie hatten sich ihren Traum erfüllt und damit bewiesen, daß er zu verwirklichen war. Der Tempel war das Symbol ihres Triumphs.
    Priest trat ein. Das einzige Fenster in dem einfachen Holzhaus war eine Dachluke. Jegliches Mobiliar fehlte. Zur Andacht setzte man sich mit gekreuzten Beinen im Kreis auf den Dielenboden. Der Tempel diente auch als Schule und Versammlungsraum. Einziger Schmuck war ein von Star gefertigtes Spruchband. Priest konnte den Text zwar nicht lesen, kannte ihn aber auswendig:
    Meditation ist Leben. Alles andere ist Ablenkung.
    Geld macht dich arm.
    Die Ehe ist die größte Treulosigkeit.
    Wenn niemand etwas besitzt, besitzen wir alle alles.
    Es gibt nur ein Gesetz: Tu, was dir gefällt.
    Dies waren die Fünf Paradoxe des Baghram. Priest hatte stets behauptet, er habe sie von einem indischen Guru gelernt, der in Los Angeles sein Lehrer gewesen sei. In Wirklichkeit hatte er sie sich selbst ausgedacht. Gar nicht so schlecht für einen Kerl, der nicht einmal lesen kann.
    Minutenlang blieb er still in der Mitte des Tempels stehen, hielt

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