Die Kinder von Erin (German Edition)
einen Gedanken daran verschwendet hätte, lag das Schwert in Siggis Hand.
Ein Tier, das nachts auf Jagd ging? Ein verirrter Dorfbewohner, der den Festplatz suchte? Oder vielleicht ein Nachzügler der Nordleute, der auf Rache sann?
»Wer ist da? Komm raus, du!«
Das Rascheln kam von oben. Siggis Blick ging zu den Eichen empor, die sich über die Lichtung erhoben. Ein Aufflammen der Glut ließ einen Schatten auf den unteren Zweigen erkennen, eine Gestalt, die nicht hierher gehörte. Es sah aus wie ein großer Vogel. Ein Seeadler? Siggi kniff die Augen zusammen. Er konnte es nicht richtig erkennen.
Der Schatten schwang sich aus dem Gezweig herunter. Jetzt sah er eher aus wie ein Affe, ein nacktes, haarloses Geschöpf. Oder wie ein Mensch.
Obwohl der kleine, braune Fremde nicht mehr in Felle gekleidet ging, erkannte Siggi ihn sofort. Er erkannte ihn an den dunklen Augen, in denen Flammen tanzten.
»Amergin?«
Der Fremde schüttelte den Kopf und blinzelte. »Ich muss mir diese Flugreisen abgewöhnen«, meinte er. »Sie bekommen mir nicht mehr so gut wie früher.«
»Amergin! Wo bist du gewesen? Du kommst zu spät. Der Kampf ist vorbei.«
»Zu spät?« Der Blick des Alten war scharf wie zuvor. »Aber nein, mein Held, ich komme genau richtig.« Er entblößte die weißen Zähne zu einem Grinsen.
Siggi starrte ihn ratlos an.
»Jetzt ist es an der Zeit, den Krieg nach Norden zu tragen«, erklärte der Druide.
14
Kriegsfahrt
Der Himmel war trübe und verhangen, als Hagen mit seinem Jungentrupp Richtung Osten aufbrach. Die Sonne, soweit man hinter dem Wolkenschleier überhaupt etwas davon erkennen konnte, stand schon hoch. Es hatte lange gedauert – für Hagen viel zu lange –, bis endlich alle aufgestanden waren, ihr Morgenmahl, bestehend aus Brot und gesalzenem Haferbrei, verzehrt hatten und dann damit fertig geworden waren, ihre Sachen zu packen.
Er hätte nicht gedacht, dass es bei den Vorbereitungen zu einem, wenn auch kurzen, Kriegszug, so viel zu beachten gäbe. Er hätte sich jemanden an seiner Seite gewünscht, der sich damit besser auskannte als er; so konnte er nur nicken und zustimmend knurren, wenn ihn jemand was fragte.
Da gab es die Frage des Proviants zu klären; denn sie würden keine Zeit zum Jagen haben, und da sie Dörfer und Burgen zu meiden gedachten, konnten sie von anderswo auf keine Verpflegung hoffen. So wurden, neben dem Ledersack mit Wasser, den jeder bei sich führte, Brot und Trockenfleisch und Blutwürste – je ner berühmte »schwarze Pudding«, den Hagen als Kind schon gehasst hatte – auf jeden verteilt. Zudem beschloss man, neben den neun Wölflingen, die den Trupp bildeten, noch zwei Ponys mitzunehmen, die Stangen und zusammengerollte Häute trugen. Ein drittes, fast noch ein Füllen, trug das Kochgeschirr und was man sonst noch zum Leben brauchte.
»Sieht aus, als wollten wir auswandern, nicht bloß einen kurzen Marsch unternehmen«, knurrte Hagen.
Sie hatten davon abgesehen, Pferde mitzunehmen; denn dort, wo sie hinzogen, würden sie ihnen sowieso nicht nützen. Dies hatte Hagen der Peinlichkeit enthoben, feststellen zu müssen, welche Figur er im Sattel machte; denn er hatte noch nie auf einem Pferd gesessen. Pferde gab es in Manchester nicht. Außerdem schienen richtige Pferde, auf denen man reiten und auch kämpfen konnte, ohnehin Mangelware zu sein. Die meisten von den brauchbaren waren schon mit Fergus und den anderen Kriegern nach Süden aufgebrochen.
Dafür hatte König Conor sich nicht lumpen lassen, sie mit Waffen und Rüstungen zu versorgen. Zwar war das meiste davon schon älter, aber noch gut gepflegt und von nicht minderer Qualität: Spangenhelme mit metallenen Seitenklappen, welche die Wangen bedeckten; Schwerter mit bronzenen Griffen, wenn auch die Klingen aus Eisen waren; hölzerne Schilde mit hohlen Knäufen aus Metall in der Mitte, die innen mit einem Handgriff versehen waren, sodass man sie auch als Schlagwaffe verwenden konnte. Nachdem die kleine Heerschar so waffenklirrend durch das Tor der Feste davongezogen war, hatte Hagen sich als Erstes von dem schweren, gehörnten Helm mit der Halbmaske befreit, den der Rüstmeister ihm verpasst hatte, und dann von seinem metallverstärkten Wams. Die anderen hatten es ihm bald gleich getan, als sie merkten, wie schnell man in solcher Ausrüstung ins Schwitzen kam. Nur seinen Speer hatte Hagen behalten, zumal man ihn auch als Wanderstab nutzen konnte.
Sie gingen durch ein Land ohne Schatten. Das gefilterte
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