Die Kinder von Erin (German Edition)
führte das Schwert gegen Siggis Kopf. Der Junge versuchte zwar noch den Schild zu heben, doch sein Arm versagte ihm den Dienst.
Siggi sah wie in Zeitlupe das Schwert auf seinen Kopf zukommen, aber er konnte nichts mehr machen.
Will er mich töten?, durchfuhr es ihn.
Dann traf die Klinge ihn seitlich am Kopf, und es wurde schwarz um ihn.
Als er die Augen wieder aufschlug, mit jenem seltsamen Gefühl, das einen überkommt, wenn man aus der Ohnmacht ins Bewusstsein hinüberkippt, sah er den Vogelputz des dunklen Mannes über sich. Wasser benetzte seine Lippen, und der Junge öffnete instinktiv den Mund. Beinahe augenblicklich kehrten seine Lebensgeister zurück. Gierig trank er, verschluckte sich und hustete.
Der Schamane besah sich sein Opfer, stellte fest, dass ihm nichts fehlte, und erhob sich, um zum Feuer hinüberzugehen.
Als Siggi seinen Hustenanfall überwunden hatte, betastete er seinen Kopf, aber dort wo eine stattliche Beule oder eine Platzwunde hätte sein müssen, war – nichts.
»Gut gekämpft, Junge«, kam die Stimme des Schamanen vom Feuer her.
Siggi rappelte sich auf. Er spürte nichts mehr von der Erschöpfung, die ihn während des Kampfes befallen hatte. Auf dem Wasser musste ein Zauber liegen, dass es die Müdigkeit beinahe augenblicklich vertrieb.
»Nun setz dich zu mir, um den letzten Teil meiner Erzählungen zu hören, wenn du noch willst.«
»Du hättest mich töten können«, sagte Siggi.
»Sicher«, antwortete der Mann. »Aber wem hätte ich dann die Geschichte erzählen sollen? Glaub mir, du warst in keiner Gefahr. Es war nur ein Wettstreit, kein Zweikampf auf Leben und Tod.«
Siggi nickte nur. Er folgte wiederum der Einladung und schnitt sich noch ein Stück Braten ab, um dem Fortgang der Erzählung zu lauschen.
»Wieder lag das Land verlassen da bis auf den Lachs, der die Flüsse hinaufwanderte. Und wieder kamen neue Siedler übers Meer herbei. Man nannte sie die Firbolg, die Beutelmenschen, weil sie in Booten aus Häuten kamen, die von luftgefüllten Bälgen getragen wurden. Doch andere sagen, ihr Name rühre daher, weil sie in ihrer Heimat die Erde in Säcken auf die Felder hätten tragen müssen, um ihren Herren zu dienen.
Ihr Anführer Eochai nahm Taltiu, die Tochter des Königs der großen Ebene – dort, wo nur noch die Toten lebten – zur Frau, und nach ihr ist bis heute die Hauptstadt von Ulad, der nördlichen Provinz, benannt. Sie herrschten lange und in Frieden, da Eochai kein Krieger und seine Frau eine große Zauberin war, die alle Gefahren von dem Land fern hielt, so sie es vermochte.
Eines Tages brachte ein Fischer dem König einen Lachs, den er in einem Teich gefangen hatte – an einem Ort, wie er sagte, an dem es keinen Zugang zum Meer gab oder zumindest keinen, den ein Mensch kannte. Da überkam Eochais Frau ein nie gekanntes Verlangen nach diesem Fisch, und sie aß ihn, ganz und gar. Neun Monate später gebar sie einen Knaben, und als man ihn zur Namengebung mit Wasser besprengen wollte, da öffnete er den Mund und sprach: ›Tuan.‹«
»Tuan?« Siggi hielt es nicht länger. »Du meinst, derselbe Tuan, der schon früher … und schon bei den Steinzeitmenschen …« Die Worte fehlten ihm. »Wie soll das möglich sein?«
»Die Seele geht durch viele Wandlungen und Verkörperungen von einem Zeitalter zum nächsten, nur den meisten Menschen ist es nicht bewusst. Auch in dir schlummert die Seele eines Helden; hätte ich dich sonst gerufen?«
Siggi nickte nur stumm. Er hatte schon etwas erahnt von dem, was der dunkle Mann ihm andeutete; auch wenn er sich früher eher im Scherz mit Siegfried dem Drachentöter verglichen hatte, war doch eine Kraft in ihm erwacht, seit er einmal von der Hand eines Gottes berührt worden war. Er hatte sich verändert, das wusste er, und er war immer noch dabei, sich zu verändern.
»Wer seid Ihr, Herr?«, fragte er, fast ehrfürchtig.
Die Antwort des Fremden kam leise, als spräche er zu sich selbst. »Ich bin die Spitze einer Waffe, die den Kampf sucht. Ich bin der, der die Zeitalter des Mondes kennt und den Ort, wo die Sonne des Abends ihr Haupt bettet. Mein Name ist ein Wort der Macht; hüte es gut. Ich war Fintan und ich war Tuan von den Partholain, ehe ich Tuan Mac Carell von Ulad wurde. Ich bin der Erzdruide von Erin. Amergin werde ich genannt.«
Siggi starrte ihn mit offenem Mund an. Der Fremde schien gewachsen zu sein, nicht mehr der kleine Mann mit den seltsamen Fellen und dem komischen Federhut, der doch so gut
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