Die Kinder von Erin (German Edition)
sich wieder zu ihr heruntergebeugt hatte und sie vorsichtig an der Schulter fasste. Die Waffen hatte es fallen lassen. Der Blick aus dem dunklen Auge drückte nichts von dem aus, was Gunhild erwartet hatte. Da war nichts zu lesen von blanker Mordlust; nein, eher eine eigenartige Mischung aus Scheu, Besorgnis und … Neugier.
Aber was wollte dieser einäugige Fremde von ihr? Warum hatten er und seine stummen Gefährten Hagen und sie selbst durch den Park gehetzt?
Hagen!
Was war aus ihm geworden? War er entkommen? Hatten sie ihn getötet?
Es hatte keinen Sinn, nach ihm zu fragen. Die Einäugigen konnten sie nicht verstehen.
Sie versuchte auf die Beine zu kommen, um sich umzusehen, aber sofort schwindelte ihr wieder, und fast wäre sie erneut gestürzt.
Beinahe augenblicklich spürte sie hilfreiche Hände, die stützten. Der Griff der Kreaturen war trocken und warm. Sie schienen geradezu besorgt um sie zu sein, wenn diese Geschöpfe solcher Gefühle fähig waren.
Es war alles irgendwie unwirklich, wie in einem Science-Fiction-Film. Die weiße Königin vom Mars. Gudrun nickte und hob die Hände. Die Reaktion war, dass die Wesen sie losließen, sie aber aufmerksam im Auge behielten, ob sie nicht gleich wieder strauchelte.
Gunhild wollte daraufhin in die Richtung gehen, aus der sie gekommen war, aber die Grünhäutigen ließen das nicht zu. Sanft fassten sie das Mädchen am Arm, und dann deuteten sie in eine andere Richtung; Gunhild hatte keine Ahnung, ob es Norden, Süden, Osten oder Westen war. Der graue, wabernde Himmel ließ keine Orientierung zu.
»Ich soll mit euch kommen?«, fragte sie, mehr an sich selbst gewandt als an die Einäugigen, die sie ohnehin nicht verstanden. »Warum?«
Aber es kam natürlich keine Antwort. Gunhild versuchte sich über ihre Lage klar zu werden. Da stand sie nun, zerschunden von dem Sturz mit der Lawine, frierend in einer Trainingsjacke und einem zerrissenen Nachthemd, das ihr in Fetzen vom Körper hing und kaum vor dem schneidenden Wind schützte. Und als hätten sie ihre Gedanken daran erinnert, wie kalt es hier war, begann sie am ganzen Leib zu zittern.
Einer der Grünen trug zu dem Brustpanzer einen Mantel aus Fell, den er Gunhild überwarf. Der Umhang roch muffig, aber zumindest wurde ihr wärmer; denn der Wind konnte den schweren Pelz nicht durchdringen. Den Schmerz in ihrer Schulter, den der schwere Umhang noch verstärkte, beachtete sie nicht. Sie biss einfach die Zähne zusammen.
Sie warf dem Einäugigen, der auch ohne den Umhang nicht zu frieren schien, einen dankbaren Blick zu und nickte. Der verbeugte sich unbeholfen, und sein lippenloser Mund verzog sich zu einem Lächeln.
Na ja, zu einem Grinsen. Wie bei einem Krokodil. Gunhild führte den Gedanken vorsichtshalber nicht zu Ende.
Nun fror sie zwar nicht mehr so, aber sie war immer noch barfuß, umgeben von einäugigen, grünen Wesen, die sie irgendwohin verschleppen wollten. Und wenn sie es sich recht überlegte, es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.
Sie kamen sehr langsam voran, und nach einiger Zeit schien es den Wesen zu langsam zu gehen. Plötzlich spürte Gunhild von zwei Seiten einen Griff, und gleich darauf fühlte sich das Mädchen emporgehoben. Zwei der Einäugigen hatten mit ihren verschränkten Armen eine Art Sitz gebildet, auf dem sie jetzt thronte.
Kaum hatte Gunhild Halt gefunden, fielen die Wesen in einen gleichmäßigen Trott, der sie schneller voranbrachte.
Das Mädchen hatte von seinem erhöhten Punkt einen besseren Überblick. Von allen Seiten kamen weitere dieser echsenhäutigen Wesen herbei. Es mochten mehr als drei Dutzend sein, die sich nun formierten und mit ihr durch den Felsengarten marschierten.
Nun konnte Gunhild zwischen den Felsen auch hier und da Pflanzen entdecken: hartes, büschelförmiges Gras, das zwischen den Steinen wuchs, Flechten und bizarre Moose, die in der Dämmerung wie Schimmelpilze wirkten, welche mit fahlen Fingern in Luft griffen, um sich aus dem Nebel ihre Nährstoffe zu ziehen.
Gunhild schmeckte Salz in der Luft. Irgendwo voraus musste das Meer sein. Auch die Landschaft änderte sich weiter, der Boden wurde sandiger. Es ging abwärts, und sie musste sich an ihren Trägern festklammern, als diese sich auf dem unsicheren Grund ihren Weg nach unten suchten.
Es wurde dunkler. Irgendwie schien die Zeit aus den Fugen geraten zu sein, denn als sie durch das Tor getreten waren, war es Nacht gewesen, und jetzt war es Tag, und es ging auf den Abend
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