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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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würden ihn nicht mehr aufstehen lassen.
    »Wo sind wir hier?«, fragte er.
    »Im Land der Toten«, sagte Amergin.
    Siggi blickte erschrocken auf. Sie befanden sich in einem großen, flachen Kessel, umgeben von bewaldeten Hängen, über die der Blick weit ins Landesinnere schweifte. Vom Meer war weit und breit nichts mehr zu sehen. Dafür gab es Steine – jede Menge Steine. Große und kleine, solche, die wie Säulen in den Himmel ragten, andere, die schief standen oder zerbrochen und umgestürzt dalagen, wie wahllos von der Hand eines Riesen verstreut.
    »Das hier ist Mag Tuired, die Ebene der Grabsteine.«
    Siggi fuhr unwillkürlich von dem Stein zurück, an dem er lehnte.
    »Grabsteine?«, fragte er. Seine Stimme kippte, da seine Kehle wie ausgetrocknet war. Aber er war entschlossen, sich nicht so einfach einschüchtern zu lassen. »Wer liegt denn hier begraben?«
    »Hier war die große Schlacht, in der die Tuatha Dé Danann, das Volk, das aus dem Westen kam, unter ihrem König Nuadu die Firbolg besiegten. Du wolltest doch wissen, was aus dem Volk König Eochais geworden ist. Nun, was aus allen besiegten Völker wird: Sie verstreuten sich. Einige zogen in den Norden und gründeten dort ihr eigenes Reich, unter der Oberherrschaft des Hochkönigs zu Tara, andere nach Süden und Westen und verschmolzen mit dem Land, in dem sie lebten. So wie es auch ihren Bezwingern selbst ergehen sollte, als deren Zeit gekommen war.«
    »Und wer liegt jetzt hier begraben?«
    »Lies selbst!« Der Druide deutete auf den Stein. Und da sah Siggi die Inschrift. Sie war nicht auf der Vorderfläche des Steins, wo er sie erwartet hatte, sondern entlang einer Kante angeordnet, sodass die eine Hälfte im Licht lag und die andere im Schatten. Und außerdem war es gar keine richtige Schrift. Das heißt, es waren nur Linien, die irgendjemand in den Stein gekratzt hatte: Reihen von Querstrichen in unterschiedlichen Abständen, oben und unten eingefasst von eingerollten Spiralen.
    »Ich kann das nicht lesen«, sagte er unwillig. »Was sind das für Markierungen?«
    »Das sind Ogham-Zeichen. Ogma von den Tuatha Dé Danann hat sie erfunden, als Bres der Schöne, Nuadus Sohn, in Tara herrschte.«
    Die Sonne brannte ungefiltert von dem wolkenlosen Himmel. Nur im Westen türmten sich am Horizont die Wolken auf, aber sie waren zu weit entfernt, um das grelle Licht des Tages zu mildern. Vor Siggis Augen verschwamm der Fels mit der Inschrift. Doch in demselben Moment, als sich sein Blick verschleierte, traten die Zeichen auf dem Stein in übernatürlicher Klarheit hervor.

    L-A-M-N-U-A-D-U
    »Dann liegt hier der König dieses Volkes begraben, der Sieger der Schlacht?«
    »Nein.« In Amergins Augen blitzte es auf. »Nur seine Hand.«
    »Aber …«, Siggi schüttelte verwirrt den Kopf, »ich dachte, dass sein Sohn – wie hieß er doch gleich – danach König wurde?«
    »Bres, den man den Schönen nannte. Ja, man wählte ihn zum Hochkönig von Erin, nachdem die Firbolg besiegt waren. Denn es hieß bei den Tuatha Dé Danann, dass keiner über sie herrschen solle, der nicht vollkommen an Gestalt sei. So war das Gesetz. Nuadu hatte seine Hand in der Schlacht verloren, und so konnte er nicht länger König sein.
    Aber sobald Bres Herrscher geworden war, zeigte er, dass auch in einem schönen Körper ein hässlicher Geist wohnen kann. Er war der geizigste und unbeliebteste König, der je in Erin regierte. Er beutete das Volk aus und ließ immer höhere Steuern eintreiben. Und wer zu seiner Burg kam und an seiner Tafel Platz nahm, dessen Messer wurde nicht fettig vom Fleisch und dessen Atem roch nicht nach Bier, denn es gab dort nur Wasser und hartes Brot. Und es gab keine Wettkämpfe mehr in Erin, bei denen sich die Männer der Tuatha Dé Danann miteinander hätten messen, und keine Feste, bei denen sie hätten prahlen können.
    Eines Tages kam Corpre, der Barde der Tuatha Dé, nach Tara. Er wurde in eine kleine, dunkle Kammer geführt, wo es kein Feuer gab, keinen Stuhl und kein Bett, und zu essen brachte man ihm drei kleine, harte Haferküchlein. Da dichtete er eine Satire gegen den König.«
    »Eine Satire?« Siggi traute seinen Ohren nicht. »Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Politiker gibt, der sich von so was beeindrucken lässt.«
    »Oh«, sagte Amergin, »damals stand der Meisterdichter auf einer Stufe mit dem König, und seine Lieder besaßen die Kraft, dessen Herrschaft zu stürzen. Und dies war es, was Corpre gegen ihn sang:
    Ohne

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