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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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eine Feuerschale gebeugt, die auf einem Dreifuß ruhte.
    Die Flamme warf fantastische Schatten auf die Wände des Raumes, und Siggis Blick folgte ihnen nach oben. Er suchte nach Ecken und Winkeln, um sich zu orientieren, aber vergeblich. Er fand nur gewundene Linien, die hinauf ins Dunkel führten. Aber es war keine Höhle, in der sie sich befanden; denn es war kein Stein, der sie umgab. Das fühlte er. Nein, es war mehr wie Holz, doch nicht zu Brettern geschnitten und zu Wänden und Decken zusammengefügt; dies war ein lebendiger Stoff, dessen Wurzeln tief ins Erdreich drangen, während sich seine Ausläufer wie Finger in den Himmel hinaufstreckten. Und plötzlich wusste er, wo sie sich befanden.
    »Wir sind im Innern eines Baumes«, beantwortete er seine eigene Frage.
    Das Staunen in seiner eigenen Stimme war nicht zu überhören. Ein Baum, der so groß war, dass sein hohles Innere zwei Menschen Raum bot, und der dennoch lebte! Wie groß mochte der Umfang dieses Baumes sein? Und wie hoch der Wipfel? Und an das Alter dieses Baumes mochte er gar nicht erst denken, doch er spürte, dass das, was ihn umgab, uralt war, Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende, und erfüllt von einer Weisheit, die nicht von Menschen kam, sondern aus der Erde und dem Himmel selbst.
    »Dies hier ist das Herz des Waldes«, sagte Amergin leise, »die große Eiche – der Baum, in dem alle Welten ihren Ursprung haben. Hierher kommen die Druiden von Erin, wenn sie alle Stufen ihrer Ausbildung durchlaufen haben um in seinem Inneren wiedergeboren zu werden. Kein anderer ist je an diesem Ort gewesen. Keiner außer dir, Finn. Und es scheint, nachdem du an diesem Tag zum Helden geworden bist, sollst du in der Nacht auch noch zum Magier werden.«
    Er warf etwas in die Glut, und Rauch wallte auf. In seinem roten Widerschein schien die Gestalt Amergins zu wachsen. Ihr Schatten streckte sich die Wände hoch; die Federn seines Kopfputzes breiteten sich aus zu schwarzen Schwingen, die ihn umflatterten. Das Gesicht des Druiden verzerrte sich; das eine, linke Auge blinkte hell, während das andere sich dunkel umschattete.
    Siggi blinzelte. Der Rauch machte ihn benommen. Was hatte der Druide da in die Feuerschale getan? Irgendwelche Drogen? Misteln und Stechapfel und Tollkirsche – womit auch immer die Druiden ihren Zauber wirkten … Er hatte darüber gelesen, aber im Augenblick konnte er keinen klaren Gedanken fassen.
    Er wich zurück, bis er das Holz des Baumes im Rücken spürte, und ließ sich langsam daran heruntersinken. Da war der Baum. Der Baum hatte so lange hier gestanden, war seit Ewigkeiten hier gewesen. Er würde nicht so schnell von den Stürmen weggerissen und von den Fluten fortgespült werden, die immer noch irgendwo dort draußen tobten. Das gab ihm Sicherheit.
    Urplötzlich war er an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, und er hörte eine Stimme, die er kannte.
    »Ich habe keineswegs die Absicht, euch zu sagen, woher der Weltenbaum kam.« Die Stimme klang verärgert. »Er ist einfach da. Denkt einfach an eine Kraft, die so ist wie die Anziehungskraft zwischen einem Magneten und einem Stück Eisen. Man kann sie nicht sehen, aber sie ist vorhanden. Ohne die Kraft des Weltenbaumes würde alles auseinander fallen und sich in der Unendlichkeit verlieren.«
    Odin, dachte Siggi. Aber der graue Gott war tot. Er hatte selbst gesehen, wie er starb, damals, vor einem Jahr, in den fahl leuchtenden Höhlen der Anderswelt. Und jetzt ging er wieder vor ihm, in seinem abgerissenen Mantel, und gleich würde er sich umdrehen und ihn ansehen, mit seinem linken, heilen Auge. Und dann würde er das andere Auge öffnen, mit dem er in das Innere der Welt blickte …
    »Es ist nicht tot. Was ich darin gesehen habe …« Das war Gunhilds Stimme, und Siggi spürte den Schauder, der darin lag. »Ich kann darüber nicht reden.«
    Gunhild! Er musste sie suchen. Wenn dieser Baum wie ein Magnet war, dann konnte er seinen Linien folgen. Er schloss die Augen. Er brauchte sich nur treiben zu lassen, den Kraftfeldern nach. Doch als er die Augen wieder öffnete, sah er ein anderes Bild:
    Ein junger Mann, der in einer Halle saß, an einem lang gestreckten Tisch. Er war gekleidet in ein rotes Gewand, eine Art Kittel, mit goldenen Bändern an Ärmeln und Saum, die mit verschlungenen Ornamenten verziert waren. Goldreifen glänzten an seinen Armen. Seine Haut war hell und sein Haar schwarz, aber sein Gesicht war abgewandt, sodass Siggi es nicht erkennen konnte.
    Hagen!,

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