Die Kinder von Erin (German Edition)
feststellte, wenn er durch das Blätterdach einen Blick auf die Sonne erhaschen konnten, nach Süden.
Nach etwa einer Stunde oder auch zwei – es war ohne Uhr für Siggi relativ schwierig zu schätzen – trafen sie auf das erste ernst zu nehmende Hindernis.
Es war ein Fluss. Zu normalen Zeiten mochte es nicht mehr als ein größerer Bach sein, den man an vielen Stellen ohne Schwierigkeiten durchwaten konnte, aber die Regenfälle des gestrigen Tages hatten ihn zu einem Strom anschwellen lassen, der sich mit reißenden, schlammigen Fluten durch sein Bett wälzte. So war an ein Überqueren nicht zu denken.
»Ein Stück weiter unten ist eine Furt, wo wir selbst jetzt vielleicht hinüber können«, meinte Amergin. »Aber dort ist jemand, dem ich nur ungern begegnen würde.«
Siggi hob die Brauen. Jemand, den der Erzdruide fürchtete? Oder wollte er einfach nur nicht gesehen werden? »Und wer sollte das sein?«, fragte er.
»Nur eine alte Bekannte«, wich der Druide aus. »Sie wäscht dort ihr Linnen am Fluss. Außerdem würde es einen ziemlichen Umweg bedeuten.«
Siggi verstand jetzt gar nichts mehr. Er warf einen Blick in die aufgewühlten Wasser des Flusses. »Hier scheint auch jemand Wäsche gewaschen zu haben«, sagte er. Zwischen den lehmigen Fluten trieben hier und da dunklere Schlieren, rot wie Blut.
»Ich glaube, wir sollten es in jedem Fall besser flussaufwärts versuchen«, meinte Amergin.
Siggi zuckte nur die Achseln. »Mir soll’s recht sein.« Er wusste nicht so recht, was er von den Bemerkungen seines Begleiters halten sollte, aber da der Alte sie nicht weiter kommentierte, ließ er es dabei bewenden.
Also zogen sie flussaufwärts, immer dem Ufer folgend, mal näher, mal weiter entfernt, je nachdem wie die Uferbank und der Bewuchs es erlaubten. Als der Wald wieder dichter zu werden begann, bekamen sie den Fluss streckenweise gar nicht mehr zu sehen, aber sein Tosen bildete eine ständige Geräuschkulisse zu ihrer Rechten.
Siggi hatte, da es seine Idee gewesen war, die Führung übernommen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo genau ihr Ziel lag. Zudem war sein Begleiter heute ungewöhnlich wortkarg, und da auch Siggi sich lieber den Atem für den Marsch aufsparte, war es ein schweigsames Paar, das sich seinen Weg durch das Gehölz bahnte.
Dann hatte Siggi mit einem Mal das Gefühl, als habe sich das Rauschen des Flusses verändert. Wenn er die Ohren spitzte, konnte er es deutlich vernehmen: ein härteres, grollendes Geräusch. Es klang fast wie ein Wasserfall – oder eher wie Stromschnellen, Felsen, die den Lauf des Flusses verengten und an denen sich die aufgewühlten Wasser brachen. Vielleicht gab es dort eine Möglichkeit, auf die andere Seite zu gelangen.
Er kletterte auf allen vieren einen Hang hinauf, um von dort einen Blick auf den weiteren Verlauf des Flusses zu werfen. Jenseits der Bäume, die den Rand des Wassers säumten, glaubte er so etwas wie eine Holzkonstruktion zu erkennen, die sich über den Fluss spannte.
»Da ist so etwas wie eine Brücke«, rief er und wandte sich zu seinem Begleiter um.
Doch da war niemand mehr. Der kleine dunkle Mann war verschwunden, als habe ihn der Erdboden verschluckt.
8
Der Meisterschlag
Wie eine Kanonenkugel schoss der harte, faustgroße Ball auf Hagen zu. Ohne richtig zu wissen, was er tat, hob der Junge den Arm und sprang hoch, den Blick auf den Ball geheftet. Und zum Glück hatte er die Sonne im Rücken, sodass er nicht geblendet wurde.
Für einen winzigen Moment schien es Hagen so, als hätte er den Ball falsch berechnet und würde ihn verpassen. Dann aber prallte der Ball hart in seine Hand. Aua! Schmerz durchzuckte ihn wie ein Blitz. Aber er hatte sein Ziel erreicht. Der Ball fiel zu Boden und lag vor ihm auf dem kurzgeschorenen Rasen.
Gemurmel kam von den Zuschauern an der Seitenlinie, dann Beifall.
»Cúchullin! Cúchullin!«, hörte er jemanden anfeuernd rufen. Aber es war nur eine einzelne Stimme, die bald versiegte.
Man traute dem Jungen, der den Hund des Königs getötet hatte, viel zu, aber das hier war doch etwas anderes. Es war Sport, und nicht jeder, der auf dem Schlachtfeld große Taten vollbrachte, hatte dies dann auch auf dem Platz, wo es um Ehre und Ruhm ging, bestätigen können. Der Junge jedoch, den man Cúchullin nannte, schien nicht nur im Kampf ein Großer zu sein, sondern auch im Spiel.
Hier in der Burg des Königs und im unmittelbaren Umkreis herrschte Friedenspflicht. Recken des Königs fochten statt mit
Weitere Kostenlose Bücher