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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Vasselis hatte mit dem, was er ihm in Estorr mitgeteilt hatte, noch nicht einmal die Oberfläche angekratzt.
    Jhered war mit der Bereitschaft gekommen, diese Menschen zu hassen. Sie aber hatten ihn akzeptiert, vor allem wohl, weil Vasselis ihnen gesagt hatte, dass sie keine Wahl hatten, und nun kämpfte er mühsam dagegen an, dass er sie zu mögen begann.
    Die Tür ging auf, und die Jüngste trat mit einem großen Stapel Bücher ein, die sie aus der Bibliothek geholt hatte. Einige waren offensichtlich sehr alt, mindestens so alt wie die Konkordanz selbst oder möglicherweise noch älter.
    »Ah, Jen, ausgezeichnet«, sagte Kessian, dieser feurige, leidenschaftliche Mann, dessen hinfälliger Körper seine Begeisterung nicht zügeln konnte. Ein Mann, der mehr als zwanzig Tage im Voraus ohne jeden Fehler das Wetter vorhersagen konnte. »Lege sie hier bei mir ab.«
    »Könnt Ihr nun in Zahlen benennen, wie viele Einwohner dieses Ortes irgendeine Fähigkeit haben oder hatten?«, fragte Jhered, der beim Thema bleiben wollte, bevor ihm die Bücher gezeigt wurden.
    »Ich würde sagen, mindestens acht von zehn Kindern«, warf Meera ein, die Mutter des schwierigen Jungen namens Gorian. Kurz nachdem Jhered eingetroffen und überwältigt von ihren Fähigkeiten gewesen war, die sie anscheinend mit solcher Selbstverständlichkeit hinnahmen, hatte sie ihm gezeigt, dass sie durch Feuer absolut unverletzlich war.
    »Achtzig Prozent?« Er riss die Augen weit auf. »Wie ist das möglich? Wie kommt es, dass wir noch nie davon gehört haben?«
    »Eins nach dem anderen«, beschwichtigte Willem Geste, ein weiterer sehr alter Mann und ein Feuerläufer wie Meera. Er hatte recht. »Es ist kein Zufall, wenigstens jetzt nicht mehr. Ein meisterhafter Reiter und eine in dieser Kunst begabte Frau, die ein Kind zeugen, wären doch enttäuscht, wenn sich das Kind nicht für das Reiten interessiert, oder? So ist es auch hier. Mit jeder Generation war der Anteil von Neugeborenen mit solchen Fähigkeiten etwas größer. Es ist eine natürliche Auswahl.«
    Da war sie wieder, diese Bemerkung, und inzwischen klang sie schrecklich einleuchtend.
    »Aber wir brüsten uns nicht der Gabe, die uns geschenkt wurde«, fügte Genna Kessian hinzu, die charmante Frau, die mit einer einzigen mühelosen Berührung die Quelle aller Schmerzen im menschlichen Körper finden konnte. »Der Orden sieht die Dinge nicht, wie wir sie sehen, was Euch ja auch bewusst ist. Niemand zeigt seine Fähigkeiten in Gegenwart eines Fremden. Ganz egal, wie groß die Versuchung ist und wie verlockend der Gewinn. Über Generationen hinweg haben wir gelernt, was Loyalität bedeutet und wie hoch der Preis für uns selbst und alle, die wir lieben, wäre, wenn wir etwas verraten. Die Fremden, die gesehen haben, was sie nicht sehen sollten, nun ja …« Sie warf einen Blick zu Vasselis. »Wir konnten nicht zulassen, dass unbedachte Münder etwas Gefährliches in falsche Ohren flüstern.«
    Jhered zog die Augenbrauen hoch und fing Vasselis’ Blick ein. Sogar das Paradies hatte eine eiserne Grenze. Er nickte leicht. Das Bedürfnis nach Sicherheit konnte er so gut verstehen wie die Gründe dafür, dass der Schleier jetzt gelüftet werden musste.
    »Aber warum hier?«, fragte er. Im ersten Augenblick wusste er nicht einmal, ob er laut gesprochen hatte.
    »Weil Gorian hier gelebt hat«, erwiderte Kessian, in dessen Augen wieder die alte Leidenschaft flackerte. Er klopfte mit der rechten Hand auf die Bücher. »Es steht alles hier drin. Ich überlasse sie Euch, damit Ihr sie während Eures Aufenthalts lesen könnt, der so lange dauern soll, wie Ihr Fragen habt.
    Schon immer wurden Menschen mit den Fähigkeiten des Aufstiegs geboren. Meist waren sie sehr flüchtig. Gorian schrieb alle ihre Geschichten auf und fügte sie zusammen. Menschen, die von ihren eigenen Mitbürgern gemieden wurden und ein neues Heim brauchten. Menschen, die sich von ihren Familien und Freunden entfremdet hatten und eine Erklärung suchten. Menschen, die Angst vor ihrer Andersartigkeit hatten und Trost suchten.«
    »Gorian?«, fragte Jhered. »Doch nicht …«
    »Nein, nein. Unser junger Gorian ist nach dem Mann benannt, der vor etwa fünfhundert Jahren den Anfang gemacht hat«, beruhigte Kessian ihn. »Alles, was er gelernt hat, schrieb er auf. Der Orden fand ihn und tötete ihn, aber sie konnten sein Werk nicht zerstören, obwohl sie glaubten, es wäre ihnen gelungen. Ihr habt vermutlich noch nie von ihm gehört,

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