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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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er über sich die Blätter zwischen den reifenden Früchten rascheln. Im Augenblick hatten sich alle aus dem prallen Sonnenlicht zurückgezogen. An so einem Tag konnte sogar die gebräunte Haut der Kinder verbrennen. Er betrachtete die jungen Aufgestiegenen, die sich auf Shelas sanftes Scheiten hin versammelten. Alle trugen leichte, pastellfarbene Tuniken und die roten Schärpen des Aufstiegs, dazu offene Sandalen und breitkrempige Strohhüte.
    Gorian lächelte nicht mehr, sondern hatte das hübsche junge Gesicht zu einem Stirnrunzeln verzogen. Seine hellblauen Augen lugten unter seinem dichten Lockenhaar hervor und beobachteten seine Kameraden. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Mirron, die ihm nicht von der Seite wich, bemerkte den Stimmungswandel und ahmte seine ernste Miene nach. Kessian lächelte.
    »Siehst du das?«, fragte er Shela.
    »Ich sehe es«, sagte sie. »Ist sie nicht süß?«
    »Sehr«, stimmte Kessian zu. »Nun kommt, ihr zwei. Arducius, Ossacer. Kommt schon. Es gibt noch viel zu lernen, und ich bin ein alter Mann.«
    Die beiden Jungen versuchten, aufmerksam zu lauschen, hatten aber Mühe, nicht ständig zu kichern.
    »Gorian. Unser Vater …«, machte Ossacer sich mit so tiefer Stimme, wie es ihm möglich war, über ihn lustig. Dann blickten die beiden zu Gorian hinüber und begannen wieder zu lachen.
    »Die dürfen mich nicht auslachen«, sagte Gorian.
    »Oh, das tun sie doch gar nicht«, griff Shela beschwichtigend ein. »Das war nur ein alberner Witz über Väter, nicht wahr?«
    »Sie lachen über meinen Namen«, sagte Gorian, dessen Stimme auf einmal eiskalt klang. »Sie lachen über unsere Geschichte.«
    Kessian sah Gorian scharf an und suchte nach einem Anzeichen, dass der Junge einen Scherz gemacht hatte.
    »Nun, vielleicht tun sie das, auch wenn es ihnen nicht bewusst ist«, wandte Kessian sanft ein. Er warf ihnen einen scharfen Blick zu, der ihnen den Spaß schlagartig verdarb. »Vielleicht sollten sie auch mehr Rücksicht auf deine Gefühle nehmen. Aber böse meinen sie es nicht, das weißt du doch, oder?«
    Gorian antwortete nicht auf die Frage. »Gorian ist als Held gestorben und hat uns allen das Leben geschenkt. Arducius und Ossacer waren bloße Krieger. Beide sind im Schlaf gestorben. Das ist kaum heldenhaft. Sollen wir über sie lachen?«
    »Du musst nicht als Held sterben, um ein Held zu sein«, erwiderte Kessian. »Die Taten im Leben entscheiden darüber, wie du gesehen wirst.«
    »Zwei alte Männer«, sagte Gorian. »Wie Neugeborene haben sie ihr Bett nass gemacht und sind gestorben wie hilflose Babys. Darüber kann man schon lachen.«
    Was er dann auch tat. Er äffte Arducius’ und Ossacers Gelächter nach, brach dann aber abrupt ab – nicht, weil er erkannte, dass er zu weit gegangen war, sondern um ihre Reaktionen zu beobachten. Eine kalte Wut erfasste Kessian, seine Hand spannte sich um den Stock an seiner Seite.
    Mirrons anfängliche Unterstützung war tiefer Verwirrung gewichen, und die beiden Jungen baten Kessian mit Blicken um Gerechtigkeit. Jeder andere hätte Gorian vermutlich längst verprügelt. Nicht so diese beiden. Sie waren ausgesprochen friedlich, Ossacer war empfindlich und kränklich, und Arducius ein dürrer, zierlicher Bursche. Beide waren schrecklich schwach im Vergleich zum kräftigen Körperbau ihres Altersgenossen.
    Kessian wandte sich an Gorian, der seinen Blick trotzig erwiderte. Es war genug.
    »Du wirst nicht das Andenken an die Helden des Aufstiegs beschmutzen«, ließ er seine immer noch mächtige Stimme durch den Obstgarten hallen. Die vier Kinder zuckten zusammen.
    »Aber …«, setzte Gorian an und deutete nach rechts.
    »Ihr schlechter Scherz war von Wärme und Liebe getragen. Deine Sticheleien sollten verletzen und die Erinnerung an unsere besten Verteidiger schmähen. Lerne den Unterschied, bevor du wieder etwas sagst.«
    »Ich …«
    »Hältst du mich für einen gebrechlichen alten Mann, dem du ungestraft Widerworte geben kannst?« Kessians Augen funkelten; er zitterte vor Zorn, seine Stimme hallte laut. Das Echo war noch unten in der Genastrobucht zu hören. »Hältst du dich für gebildet genug, um dich mit mir zu messen? Du bist erst zehn und ein Knirps. Ich bin hundertvierzig Jahre alt und der Vater der Autorität. Das einzige Mitglied der ersten Linie, das noch lebt.« Leiser sprach er weiter. »Und ich kann dir versichern, dass ich immer noch die volle Gewalt über meine Blase habe.«
    Mirron hielt sich eine Hand vor den

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