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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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der Magengrube. Draußen hörte sie die Rufe der Möwen. Heißes Sonnenlicht fand einen Weg durch die Lücken zwischen den Blenden der geschlossenen Fensterläden. Westfallen war wach und vollkommen wie immer.
    Gestern wäre sie aus dem Bett gesprungen und hätte gerade noch innegehalten, um ihre Tunika überzustreifen, bevor sie in den wundervollen Tag hinausgestürmt wäre. Aber gestern war nicht heute. Heute pochte es in ihrem Kopf, ihr Magen verkrampfte sich vor Übelkeit, und vor ihrem inneren Auge liefen immer wieder die Ereignisse des vergangenen Abends ab.
    Sie fühlte sich, als hätte man ihr etwas weggenommen, und als sei heute alles anders. Irgendwie hatte sie sich auch verändert, und das verwirrte sie. Es gelang ihr nicht, wieder zu dem zurückzukehren, was vorher gewesen war. Vielmehr sah sie immer wieder den Feuerstoß aus den Kerzen im Becken emporspringen und Gorians Handgelenk verbrennen. Sie konnte alles ganz genau verfolgen, das Zucken der Flammen und den Schaden, den sie angerichtet hatten. Sogar den Geruch der verbrannten Haare und der Haut konnte sie noch wahrnehmen, und sie wusste ganz genau, welch schreckliche Verletzungen die Flammen verursacht hatten. Gorian würde für immer mit einer Narbe gezeichnet sein. Er würde ihr nie verzeihen, und auch sie selbst würde sich nicht vergeben.
    Wieder rollten ihr die Tränen über die Wangen. Alle hatten sie angelogen. Vater Kessian, Willem, Hesther. Sogar ihre eigene Mutter. Sie hatten ihr erzählt, der Aufstieg sei etwas Wunderbares und würde sie alle Gott näher bringen. Aber das stimmte nicht. Was sie getan hatte, hing auf jeden Fall mit ihren Gaben zusammen, aber es war weder schön noch friedvoll gewesen. Sie hatte einen anderen Menschen verletzt.
    Es war das erste Mal, dass jemand seine Gabe auf diese Weise eingesetzt hatte, und ausgerechnet sie hatte einem anderen wehtun müssen. Nicht nur irgendeinem. Gorian. Dem Letzten auf der ganzen Welt, dem sie etwas Böses wünschte, und sie hatte es getan. In jenem Augenblick hatte sie es sogar gewollt. Sie hatte Angst vor dem, was sie angerichtet hatte. Was würde beim nächsten Mal geschehen?
    Es sollte kein nächstes Mal geben. Sie presste den Kopf ins Kissen und weinte. Es klopfte leise an der Tür.
    »Geh weg!«, heulte sie.
    Der Türknauf drehte sich, die Tür wurde geöffnet, frische Luft strömte herein. Sie drehte sich um.
    »Ich hab dir doch gesagt …« Es war Vater Kessian. »Ich dachte, du wärst meine Mutter.«
    »Sprichst du so mit deiner Mutter, mein Kind? Sie liebt dich und will nur dein Bestes. Das weißt du doch, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Warum hat sie mich angelogen? Warum habt ihr mich alle angelogen?«
    Kessian runzelte die Stirn, trat ganz ein, zog den Stuhl an ihr Bett und setzte sich. Im Dämmerlicht schien er sehr alt zu sein, seine Haut war ganz runzlig und faltig. Aber seine Augen strahlten warm, und er zerschmolz ihren Widerstand mit seinem Lächeln, wie er es immer tat.
    »Warum glaubst du, wir hätten dich angelogen?«, fragte er und legte eine Hand auf sein Herz. »Es würde mir wehtun, wenn ich glauben müsste, dass ich es wirklich getan habe.«
    »Du hast mir gesagt, ich würde ein guter Mensch, weil ich eine wahre Aufgestiegene bin. Aber ich habe Gorian verbrannt, und jetzt wird er mich für immer hassen. Ich will keine Aufgestiegene mehr sein.«
    Kessian beugte sich vor und wischte ihr mit dem Daumen die Tränen ab. »Oh mein Kind, mir ist klar, dass du dich heute Morgen nicht so gut fühlst. Niemand will einem Freund und Kameraden wehtun, aber manchmal sind wir wütend und tun es trotzdem mit Worten oder Taten.
    Du musst aber daran denken, dass du mit den besten Absichten im Herzen gehandelt hast. Du wolltest verhindern, dass Gorian Arducius noch mehr verletzt, und das ist dir gelungen. Dabei hast du allerdings etwas getan, das du lieber vermieden hättest. Das kannst du jetzt nicht mehr ändern, aber du musst dich nicht dafür hassen, dass es geschehen ist.«
    »Es wird nicht noch einmal geschehen, das verspreche ich. Ich werde das Feuer nie wieder berühren.«
    Kessian lehnte sich zurück. »Das würde mich noch trauriger stimmen als alles andere. Mirron, du bist eine geliebte Tochter des Aufstiegs. In dem, was du gestern Abend getan hast, liegt etwas sehr Bedeutendes und Wundervolles.«
    »Aber ich habe ihm wehgetan!«, rief Mirron. Gorians rotes Handgelenk mit der Brandblase erschien abermals vor ihrem inneren Auge.
    »Das wird heilen. Er ist ein

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