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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Wind an Kraft gewann. Bald würde noch mehr Schnee fallen. So würde es die ganze Nacht weitergehen, bis am Spätvormittag die Wolkendecke aufbrechen würde. Wahrscheinlich war es ganz gut, dass das Spiel auf diese Weise geendet hatte. Gorian trottete wortlos an Ossacers linke Seite.
    »Gorian«, flüsterte Arducius. »Nicht.«
    »He, Ossacer«, sagte Gorian. Er sprach dicht neben dem Ohr des Jungen absichtlich laut.
    Ossacer zuckte zusammen und blieb stehen, um stirnrunzelnd den Kopf herumzudrehen. Vergeblich wie immer irrte sein Blick suchend umher. Den Unterschied zwischen Hell und Dunkel konnte er noch erkennen, manchmal sogar vage Schemen, aber mehr auch nicht. Die Infektion, die ihm das Augenlicht geraubt hatte, hatte ihm auch die Lebensfreude genommen. Seine Verbitterung über sein Unglück ließ nach, würde aber niemals völlig verschwinden.
    »Warum musstest du das machen?«, sagte Mirron.
    »Schon gut«, sagte Ossacer mit tiefer Stimme. Er war schon früh in den Stimmbruch gekommen. »Nur schade, dass ich nicht dich getroffen habe, Gorian.«
    »Ich bin zu schlau für dich«, erwiderte Gorian. Erfreut über ihre zornige Reaktion, lächelte er Mirron an. »Behandle ihn nicht wie ein Kleinkind. Damit machst du ihn noch schwächer, als er sowieso schon ist.«
    »Ich bin nicht schwach«, widersprach Ossacer. »Nur blind.«
    »Wie lange wird es dauern, bis du dir noch etwas anderes einfängst? Und was wird dann betroffen sein? Deine Ohren? Dein Mund?«
    »Hör auf damit, hör auf!«, rief Mirron. »Lass ihn in Ruhe.«
    »Ich kann schon auf mich aufpassen«, sagte Ossacer.
    Er ließ Mirrons Arm los und wandte sich ganz zu Gorian um. Gorian tanzte lachend um ihn herum.
    »Du kannst mich nie fangen, blinder Mann.«
    Links neben Ossacer blieb er stehen und streckte langsam einen Arm aus, um Ossacer zu stoßen. Der jedoch legte die Stirn in tiefe Falten und packte dann zielstrebig Gorians Handgelenk.
    »Ich bin blind, aber das heißt nicht, dass ich nichts sehen kann«, erklärte er leise.
    Gorians Miene war überhaupt nicht mehr boshaft, sondern nur noch fasziniert. »Wie hast du das gemacht?«
    »Warum willst du das wissen?« Ossacer gab seine Hand frei. »Du bist ja nicht blind.«
    »Sag es mir einfach.« Jetzt klang Gorians Stimme drohend.
    »Na, nun bin ich doch nicht mehr so schwach, was?« Ossacer neckte Gorian, und Arducius spürte, wie sein Herzschlag beschleunigte. »Du weißt es nicht, was? Und das gefällt dir nicht.«
    »Ziehe ihn nicht auf«, warnte Mirron.
    »Du weißt, was passiert, wenn du das machst«, bekräftigte Gorian. »Sei bloß vorsichtig, Ossacer … kranker Ossacer …« Er kicherte. »Sag es mir.«
    »Nein«, erwiderte Ossacer und stand gerade und trotzig, den Blick ins Nichts gerichtet, vor Gorian. »Das werde ich nicht tun.«
    »Ach, sind wir jetzt ein großer Mann?« Gorian bewegte sich schneller und versetzte Ossacer einen Stoß vor die Brust. Der Junge taumelte, konnte kaum noch das Gleichgewicht halten und ruderte hilflos mit den Armen.
    »Lass ihn in Ruhe«, sagte Arducius.
    »Und was willst du dagegen tun? Wenn du mich schlägst, breche ich dir die Finger. Du bist noch schwächer als er.« Gorian wandte sich wieder an Ossacer. »Hier ist niemand, der dich retten könnte, blinder Mann. Du weißt nicht einmal, aus welcher Richtung ich als Nächstes komme. Sag mir, was du gelernt hast.«
    »Nein«, antwortete Ossacer, obwohl seine Stimme ein wenig bebte.
    »Hör auf, Gorian.« Mirron machte einen Schritt auf ihn zu.
    »Halte mich doch auf, wenn du kannst.« Er machte einen Schritt und schlug Ossacer leicht auf die Wange. »Die nächste Ohrfeige tut weh.«
    Ossacer wich einen Schritt zurück und stolperte. Gorian streckte die Hand aus und packte ihn am Arm, um ihn aufrecht zu halten.
    »Ich bin der Einzige, der dich retten kann, Ossacer.« Er hielt fest, seine kräftige Hand quetschte Ossacers Oberarm zusammen. Dann sah er sich zu Arducius und Mirron um. Arducius schlug das Herz bis zum Halse, und er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Er war machtlos und konnte nichts tun. »Ich bin besser als du. Ich bin besser als ihr alle zusammen.«
    Gorian verstummte schlagartig, und die Luft um sie schien zu gefrieren. Die Haut auf seinem Unterarm wurde bleich, auf dem Handschuh bildete sich Reif. Ossacer schrie auf und wollte sich zurückziehen. Er schlug mit einem Arm um sich, konnte aber Gorians eiskaltem Griff nicht entkommen. Arducius machte einen Schritt. Er musste etwas tun, fürchtete

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