Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
mit sanfter Stimme Mut. »Wir stehen vor Schwierigkeiten, die alle, die nach uns kommen, nicht mehr haben werden. Es liegt bei uns, Lösungen zu finden und dafür zu sorgen, dass der Glaube an den Aufstieg stark und unerschütterlich bleibt. Ich weiß, wie schwer das ist. Gott möge mich umarmen, aber ich hatte heute selbst düstere Momente, und euch ist es wohl kaum anders ergangen. Ich glaube nicht, dass einer von uns heute Nacht gut schläft, also lasst uns tun, was wir tun können. Wir sind vernünftig, entschlossen und zielstrebig. Also gut, eins nach dem anderen. Genna, wie geht es Ossacer und Arducius?«
Die Schmerzfinderin der Autorität blies die Wangen auf und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare. »Shela ist bei ihnen. Wir haben sie zusammen in einen Raum gelegt. Ossacer schweigt, er will nicht reden. Wir haben seinen Arm gebadet und verbunden. Glücklicherweise waren die Verbrennungen nicht zu tief. Die Erfrierungen haben vor allem Finger und Zehen getroffen. Hätte Arducius sich nicht eingemischt, dann hätte es vielleicht auf Ossacers Arm übergegriffen.
Arducius trug glücklicherweise Schutzschienen, die jetzt jedoch ramponiert sind. Beide Handgelenke sind gebrochen. Eine Schulter ist schon wieder ausgerenkt, und sein linker Ellenbogen ist angeschwollen wie eine kranke Blase. Ich habe die Brüche eingerichtet und die Schulter eingerenkt. Der Ellenbogen bekommt jede Stunde eine neue Eispackung. Langfristig mache ich mir allerdings Sorgen um seine Beweglichkeit. Er ist so zerbrechlich.«
»Dieses Mal werden beide sich von ihren körperlichen Verletzungen erholen«, sagte Hesther. »Wir sollten uns auf die seelischen und emotionalen Probleme konzentrieren. Da gibt es viel mehr zu behandeln und zu heilen.«
»Du nimmst mir das Wort aus dem Mund«, stimmte Kessian zu. »Ich werde morgen früh mit Gorian sprechen. Wir müssen herausfinden, warum er so denkt, und ich bilde mir ein, dass er immer noch Ehrfurcht vor mir empfindet und manchmal sogar etwas Angst hat, was gar nicht so schlecht sein könnte. Da werdet ihr mir sicher zustimmen. Er hat schon öfter solche Züge gezeigt. Erinnert ihr euch noch, wie ernst er schon als Kind immer war, und wie leicht er sich provozieren ließ? Vergesst nicht, dass es auch heftige Ausbrüche gab, als Mirron erwachte. Der Unterschied liegt hier jedoch darin, dass er die Fähigkeit besitzt, andere zu verletzen, und das haben wir ihm ausdrücklich verboten.
Ich werde zu ihm durchdringen. Es muss mir einfach gelingen. Inzwischen kannst du, Gwythen, weiter mit deiner Tochter reden. Du weißt sicher am besten, wie man mit ihr umgehen muss.«
Gwythen zuckte mit den Achseln. »Sie hat getan, was sie immer tut, wenn Gorian Ärger macht. Am Anfang bringt sie ihre Abscheu zum Ausdruck, und am Ende verteidigt sie ihn. Wir wissen ja, warum sie sich so verhält.« Ein leises Kichern erhob sich im Raum. »Ich glaube nicht, dass sich das jemals ändern wird.«
»Nein, wohl nicht«, stimmte Willem zu. »Allerdings können wir das für unsere Zwecke einsetzen. Gorian wird doch auf sie hören, nicht wahr? Schließlich ist die Zuneigung nicht ganz einseitig.«
»Ich bin nicht sicher«, wandte Meera ein. »Ich sage es nur ungern, aber er neigt dazu, andere zu manipulieren. Wenn es ihm passt, kann er liebenswürdig zu ihr sein. Wundert euch nicht, wenn er in zwei Tagen, sobald er glaubt, er hätte es überstanden, ausgesprochen charmant ist. Das haben wir schon öfter erlebt.«
»Und die anderen beiden?«, fragte Kessian.
»Gebt ihnen eine Nacht Ruhe, und dann wollen wir sehen, wie sie aufwachen«, sagte Genna. »Ossacer hat nach dem Zwischenfall keine Anzeichen irgendeines Leidens gezeigt, was ein Segen ist. Nach allem, was Arducius sagte, hat er sich Gorian voller Stolz widersetzt, und das ist etwas Neues. Arducius … nun ja, er ist eben Arducius.« Wieder ein Kichern. »Insgeheim wird er wohl den Rest des Dusas wütend auf Gorian sein, aber er ist der geborene Diplomat. Er wird bald wieder alle zusammenbringen. Ihm ist klar, wie stark sie sind, wenn sie zusammenwirken. Vor allem dürfte er wohl wütend über Gorians Einstellung sein, nicht so sehr wegen der körperlichen Schmerzen und der Situation, der er sie zu verdanken hat.«
Das ließ Kessian neuen Mut schöpfen. Die Autorität schloss ihre Reihen und blickte nach vorn.
»Gut«, sagte er. »Noch etwas. Hesther, ich wende mich wie immer zuerst an dich, aber für den Fall, dass durch die Diener irgendetwas
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