Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
auch für deine Aufgestiegenen. Aber sie dürfen nicht eingreifen, denn sonst werde ich sie wegen Hochverrats und Ketzerei hinrichten lassen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt? Ich bin der General dieses Heeres, und ich dulde nicht, dass meine Autorität untergraben wird. Nicht einmal von dir.«
Jhered nickte. »Ich respektiere alles, was du gesagt hast, und ich weiß, dass du der beste General der Konkordanz bist. Ich bin nicht hier, um deine Autorität zu untergraben, sondern um zu helfen.« Er wandte sich zum Eingang des Zelts, hielt aber noch einmal inne. »Vielleicht kannst du den Krieg wirklich so gewinnen, wie du es dir vorstellst. Du solltest jedoch die Tage zusammenzählen, die du brauchst, um mit deinen Elftausend die dreißigtausend Tsardonier in Gestern zu besiegen und anschließend weiterzumarschieren, um die Grenze von Neratharn zu verteidigen.
Dir bleibt nicht genug Zeit, Roberto, denn die Tsardonier werden dort oben bald durchbrechen. Das weißt du so gut wie ich. Welchen Sinn hätte es, in Gestern einen Sieg zu erringen, wenn die Konkordanz im Norden verloren ist? Ich kann dir diese Zeit verschaffen. Denk darüber nach, General. Lass uns dir helfen.«
Roberto ließ sich vor seinen Karten auf den Stuhl sinken, nachdem Jhered gegangen war. Mit einer heftigen Bewegung nahm er seinen Weinkelch und leerte ihn. Dann verlangte er nach mehr. Zehn Tage bis zur gesternischen Grenze. Noch einmal zehn Tage nach Norden bis Byscar, um die Tsardonier zu hetzen, falls er siegte. Mindestens sechs Tage bis zur Grenze von Neratharn durch feindliches Gebiet. Das würde bis zum Beginn des grimmigen Dusasauf dauern.
Er stand irgendwo im Niemandsland, und wenn er sich in eine Richtung wandte, würden die Tsardonier an einem anderen Ort durchbrechen. Er schlug sich die Hände vors Gesicht und bemerkte nicht einmal, dass Herides seinen Wein brachte. Die Konkordanz zerbrach.
21
848. Zyklus Gottes, 35. Tag des Solasab
15. Jahr des wahren Aufstiegs
E s ist wie eine dämonische Prozession von caradukischen Handwerkern und Arbeitern«, murmelte Marschallverteidiger Vasselis. Er stand mit Harkov und Hesther auf dem linken Türmchen über dem Tor von Westfallen. Vor zwei Tagen hatte Harkov ihm berichtet, dass sich Leute näherten. Jetzt war der unorganisierte, aber vielköpfige Pöbel vor der Stadt angelangt.
Er reichte das Spähglas an Hesther weiter. Im Grunde brauchte er es nicht mehr, denn die Bilder waren für alle Ewigkeit in sein Gedächtnis eingebrannt – die entschlossenen, zornigen, ängstlichen Gesichter seiner Bürger. Einige trugen Plakate und Banner. Andere führten, welch bittere Ironie, die caradukische Flagge, die auch an den Türmen über Westfallens Tor wehte.
Es waren ganz normale Menschen, darunter viele Bauern. Männer, Frauen und Kinder. Aufgestachelt von den Lesern und Sprechern, die mit ihnen kamen, und eskortiert von einigen Gottesrittern. Einen oder zwei erkannte er sogar. Sie waren offenbar weit aus dem Süden hergekommen. Aus Cirandon, Port Roulent und allen Städten, die sie unterwegs passiert hatten. Alle blind und unwissend. Es waren mehrere Hundert, und er fragte sich, ob auch nur einer von ihnen überhaupt eine Vorstellung hatte, was er zu erreichen suchte.
»So stark sind Macht und Wille der Kanzlerin«, bemerkte Hesther mit leicht bebender Stimme. »Furcht und Hass. So leicht zu erzeugen, so schwer zu vertreiben.«
»Wir werden tun, was wir tun müssen«, sagte Harkov zu ihnen beiden.
»Aber Ihr wollt doch nicht gegen sie kämpfen?«, fragte Hesther.
»Ich habe Befehle von der Advokatin erhalten«, erwiderte Harkov. »Ich bin Hauptmann der Palastwache. Wir werden tun, was wir tun müssen.«
»Rede mit ihnen, Arvan. Erkläre es ihnen.«
Vasselis wich Hesthers Blick aus. Es war eine völlig widersinnige Situation. Die Konkordanz kämpfte am Tirronischen Meer ums Überleben, und ihre Einwohner stritten sich um Dinge, die sie nicht im Mindesten verstanden. Dennoch konnte diese Auseinandersetzung möglicherweise die wichtigste in der ganzen Geschichte der Konkordanz sein. Es war ein Kampf um den Fortschritt und die Weiterentwicklung.
»Ich werde sagen, was ich sagen kann«, antwortete Vasselis schließlich. »Aber du bist klug, Mutter Naravny, genau wie alle anderen Autoritäten. Es hat immer einen Preis gekostet, Westfallens Geheimnisse zu hüten. Sein Überleben könnte noch mehr kosten.«
Hesther starrte ihn von der Seite an, bis er sich zu ihr umdrehte. Ihm wurde
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