Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
diesem erbärmlichen Schauspiel erreichen, Lotheris? Dachtet Ihr, meine Reue wäre so groß, dass ich mich Euch Hals über Kopf ausliefere, um Gnade flehe und meine Sünden gestehe? Die Kanzlerin hat, wie ich sehe, mit großem Geschick Gerüchte und Lügen verbreitet. Das ist ihr so gut gelungen, dass ansonsten kluge Menschen jegliche Vernunft vergessen.«
Er hob den Kopf und holte tief Luft, um sich an die übrigen Bürger zu wenden.
»Geht heim, ihr alle. Ihr seid die Opfer einer Täuschung. Hier gibt es keine Ketzerei und keine Verbrecher, die vor Gericht gestellt werden müssen. Diejenigen, die hier vor den Toren stehen, sind nicht befugt, irgendetwas zu verlangen. Kehrt nach Hause zurück und kämpft für die wichtigste Sache. Kämpft im Krieg gegen die Tsardonier. Der Dusas kommt, und daheim brennen eure warmen Feuer. Das Land, auf dem ihr jetzt steht, wird euch jedoch bald unter den Füßen gefrieren.«
Einige hatten es gehört, und ein Gemurmel ging durch die Menge. Er wandte sich wieder an Lotheris.
»Ihr seid eine irregeleitete Närrin. Ich bin sicher, dass ich kein Gesetz und kein Gebot in den Schriften des Allwissenden gebrochen habe. Warum sollte ich mich Euch unterwerfen? Seht Euch doch hier um. Ich bin hier, um die Stadt und die Unschuldigen, die in ihr leben, gegen die Ausschreitungen zu verteidigen, die auf Befehl Eurer Kanzlerin geschehen sollen. Ich habe Wurfmaschinen, Leviumkrieger und caradukische Wächter. Alle unterstehen meinem Befehl, alle sind ausgebildete Berufssoldaten. Ich habe alles, was ich für einen behaglichen Dusas brauche, und ich werde davon Gebrauch machen.
Geht nach Hause. Die Bürger von Port Roulent brauchen ihre Sprecherin, wenn die Bedrohung durch die Tsardonier zunimmt. Lasst Euch nicht von der Kanzlerin von den Aufgaben ablenken, die Ihr vor Gott erfüllen müsst.«
Lotheris spuckte auf den Boden und zerrieb den Speichel mit dem Absatz.
»Die Luft schmeckt hier bitter, Marschall«, sagte sie. »Ich habe mich bemüht, vernünftig mit Euch zu reden. Wir wollen wegen dieser Ketzerei nicht noch mehr Blut vergießen. Wir wollen nur Gerechtigkeit. Aber wenn Ihr wollt, könnt Ihr einen Kampf haben. Ich sehe Eure Wehranlagen und muss einräumen, dass sie stark sind. Aber die Gottesritter sind stärker, und sie kommen hierher. Euch bleibt nicht mehr viel Zeit, und die Schmerzen Eurer Anhänger werden schrecklich sein.«
Damit wandte sie sich ab und stolzierte zur Menge zurück, die sie schweigend erwartete.
»Was glaubt Ihr, wie viel Zeit uns noch bleibt?«, fragte Hesther.
»Das war eine List«, sagte Harkov.
»Nein«, erwiderte Vasselis. »Ich kenne die Kanzlerin. Sie wird die Demütigung nicht hinnehmen, ohne auf Rache zu sinnen. Aber wie viele kann sie schicken? Ich weiß auch nicht, wie lange es dauern wird. Wir können uns nur auf alles vorbereiten, was Felice Koroyan uns möglicherweise entgegenwirft. Verdammt soll sie sein, aber die Gottesritter sollten in Neratharn sein oder die Küste verteidigen. Wie ist es nur möglich, dass die Advokatin nichts davon weiß?«
Es wurde jetzt rasch kälter, und am Vortag hatten sie bereits die ersten Regenfälle der neuen Jahreszeit erlebt. Obwohl sie nach Süden marschierten, ließ sich nicht verleugnen, dass der Solas ausklang und der Dusas kam. Roberto duldete jedoch keine Verzögerung.
Der Untergrund war eben und hart, das Gehen war nicht schwer, und so konnten sie dreißig Meilen am Tag zurücklegen.
Jhered, Menas und Kovan hatten Pferde bekommen und ritten neben dem Wagen, in dem die Aufgestiegenen saßen. Roberto hatte angeordnet, dass sie sich nicht außerhalb der Zelte oder Wagen blicken ließen, und so musste Jhered damit leben, dass sie wieder in alte Verhaltensweisen zurückfielen. Sie jammerten über ihre Verfassung, weil sie früh aufstehen mussten, weil sie jeden Tag so weit reisen mussten, weil sie die Heeresverpflegung nicht mochten, weil er sich mürrisch gab. Alles Mögliche.
Roberto hatte sich nach ihrer ersten Unterhaltung geweigert, mit Jhered über irgendetwas anderes als taktische Fragen zu reden. Außerdem hatte er seine Befehlshaber hinsichtlich der Aufgestiegenen ins Vertrauen gezogen. Trotz seiner Entschlossenheit, den Kreis der Mitwisser klein zu halten, machten Gerüchte die Runde, von denen einige der Wahrheit erschreckend nahe kamen.
So stark war die Neugierde der gewöhnlichen Soldaten, dass Jhered Tag und Nacht den Aufgestiegenen kaum von der Seite wich. Er hatte sogar angeregt, dass
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