Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
die Küste von Gestern und wollen so weit wie möglich nach Süden vorstoßen, um mit Schiffen nach Estorr zu gelangen.«
Wieder zog Roberto die Karte zurate. »Der Dusas wird sie bezwingen«, sagte er. »Die rebellische atreskanische Marine ist nicht groß genug, um eine Invasionsstreitmacht zu befördern, und die Ocetanas werden sie ausradieren. Selbst wenn man annimmt, dass sie die Fähigkeiten und die Rohstoffe haben, können sie in Gestern nicht genügend Schiffe bauen, ehe der Dusas die Überfahrt zu gefährlich macht.«
»Das brauchen sie nicht«, wandte Jhered ein. »Ihre eigene Flotte ist schon aus der Bucht von Harryn ausgelaufen. Wie mir die Karku sagten, sind es Hunderte von Schiffen. Sicherlich genug.«
»Dann komme ich zu spät.« Die Verzweiflung schnürte Roberto die Kehle zu.
»Nein«, widersprach Jhered. »Nicht wenn du die Marschrichtung wechselst und ihnen auf dem schnellsten Wege folgst. Die Tsardonier stellen sich zur Schlacht auf, haben aber noch nicht angegriffen.«
»Was könnten wir noch ändern? Da Jorganesh ausgeschaltet ist, stehe ich mit meinen elftausend Kämpfern einer dreimal so großen Zahl gegenüber. Selbst wenn wir die gesternische Verteidigung berücksichtigen, sind wir hoffnungslos in Unterzahl.«
»Vertrau mir. Ich habe dir gerade die stärkste Waffe dieses Krieges gebracht. Sie kann auf einen Schlag ganze Heere aufhalten, ohne dass du nur eine Bailiste abfeuern müsstest.«
»Die Aufgestiegenen?«, entgegnete Roberto kopfschüttelnd. »Ich habe widersprüchliche Geschichten über sie gehört, denen ich aber nicht im Entferntesten glaube. Außerdem kamen mir Anschuldigungen zu Ohren, die deine Loyalität gegenüber meiner Mutter und dem Allwissenden betrafen. Meine Mutter schickte mir auch eine Botschaft, ich solle nach dir suchen. Allmählich kommt mir das alles wie ein schlecht geschriebenes Drama vor. Vielleicht solltest du mir jetzt deine Seite schildern. Es käme mir nicht ungelegen, wenn ein paar haarsträubende Übertreibungen meine Stimmung bessern könnten.«
Mirron saß mit Menas abseits von den anderen in dem Zelt, das für sie freigeräumt worden war. Wie es schien, hatte das ganze Heer sie genau beäugt. Mirron hatte es bedrückend gefunden, die anderen waren ganz aus dem Häuschen gewesen. So viel Lärm, so viele Menschen in den endlosen Zeltreihen. In ihren Ohren dröhnten noch die Hammerschläge der Schmieden und das Klirren der Schwerter, mit denen die Soldaten übten. Obendrein unterhielten sich überall Menschen, und hinzu kam noch der Lärm von Hunderten Pferden auf der Koppel.
Als sie mit gesenktem Kopf durchs Lager gewandert waren, hatte Mirron unzählige Pfiffe und eindeutige Einladungen zu hören bekommen. Einige hatte sie nicht einmal verstanden. Menas hatte sie schützend in den Arm genommen und ihren Mantel mit dem Wappen der Einnehmer demonstrativ um sie gelegt. Das hatte einige zum Verstummen gebracht. Auch Kovan war zunächst an ihrer Seite gewesen, aber gleich darauf verschwunden, um zu sehen, ob er unter den estoreanischen Hastati einige alte Freunde fand.
Ossacer und Arducius beschäftigten sich zusammen mit Gorian vor allem damit, die Energien der stillen Luft einzufangen. Ossacer dachte, wenn es ihnen gelänge, dabei wirkungsvoller vorzugehen, könnten sie sich eine Energiequelle erschließen, die mächtiger war als Feuer, Erde, das Meer oder die Bäume. Das sagte er schon seit Jahren. Nur Arducius glaubte noch daran, und dies auch nur, weil er ein Windleser war und Wirbelstürme aus dem Nichts erschaffen wollte. Mirron hatte keine Lust gehabt, den Jungen zu helfen. Sie war müde und hatte Bauchweh. Nur Menas schien empfänglich für ihre Stimmung.
»Fühlst du dich einsam?«, fragte die Einnehmerin.
»Ich weiß gar nicht, warum. Hier sind doch so viele Menschen.«
Menas strich ihr eine Locke aus der Stirn. »Oh Mirron, du hast wirklich noch nicht viel von der Welt gesehen.«
»Ich bin doch erst vierzehn, Erith«, erwiderte Mirron unwirsch. »Aber ganz so weltfremd bin ich nicht. Westfallen ist ein Teil der Welt. Oder war es.«
»Das hier ist aber ganz anders, nicht wahr? In diesem Lager sind mehr als zehntausend Menschen. An einem so belebten Ort warst du sicher noch nicht. Du warst sicher noch nie in Port Roulent, ganz zu schweigen von Cirandon oder Estorr.«
Mirron ging zum Eingang ihres Zelts. Sie standen nicht unter Arrest, aber zu beiden Seiten waren Wachen aufgestellt. Sie blickte über die Zeltstadt hinweg, die an
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