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Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann

Titel: Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Und sie hasste ihn.
    »Was habe ich getan?«, flüsterte er.
    Schließlich erreichte er sie und berührte ihr Gesicht. Sie fuhr zurück und starrte ihn mit solchem Hass an, dass ihm die Tränen in die Augen stiegen.
    »Bitte, Mirron«, sagte er. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.«
    »Es tut dir leid?« Sie spuckte ihm ins Gesicht, der Speichel rann an seiner Wange hinab. »Mörder. Du bist ein Mörder.«
    Unten ertönten Stimmen, die lauter wurden und sich näherten. Mirron schrie das Wort immer wieder. Gorian war jetzt voller Entsetzen und keuchte schwer. Menas war tot. Mirron war verletzt. Er musste weglaufen. Sich verstecken. Er war erschöpft und hatte Angst. Voller Panik sah er sich um. Auf der anderen Seite des Bachs standen noch mehr Bäume. Wenn er noch ein wenig Kraft in sich fände, könnte er entkommen. Verschwinden, bis sich die Aufregung wieder gelegt hatte und sie ihm verziehen. Vor seinem inneren Auge sah er Vater Kessian, der ihm winkte, zu ihnen zu gehen und die Erlösung zu suchen.
    Er schlurfte durch den Bach und lief, immer wieder stolpernd, davon. Immer noch hörte er Mirrons Rufe.

 
25

    848. Zyklus Gottes, 41. Tag des Solasab
    15. Jahr des wahren Aufstiegs
     
    S chnee fiel auf die gefrorene Erde. Die Flocken tanzten in der Luft, und es wurde schon am Nachmittag dunkel, was durchaus zur Stimmung der Bewohner passte. Westfallen war still. Kein Geplapper war auf dem Forum zu hören. Der Wind heulte um die Palisaden und pfiff zwischen Brettern und den Wurfarmen der Onager. Am Mast knatterte die caradukische Flagge.
    Arvan Vasselis starrte aufs Feld vor der Stadt hinab und richtete sich ein wenig auf. Die Gottesritter näherten sich. Eine ganze Legion, fünftausend Infanteristen und Kavalleristen. Ochsen zogen Wagen, Katapulte und Bolzenschleudern. An hundert Stangen flatterten die Banner und Wimpel des Allwissenden.
    An ihrer Spitze kam Horst Vennegoor, das Erste Schwert des Allwissenden, um das Werk zu vollenden, das er begonnen hatte, als der Genastro noch die Erde gewärmt und Ardol Kessian noch gelebt hatte. Caradukische Wächter und Leviumkrieger beobachteten den Aufmarsch. Die Gesichter unter den Helmen blieben unbewegt, aber sie packten unwillkürlich die Speerschäfte fester.
    Die Legion machte halt und errichtete ihr Lager. Wie Lotheris kam auch Vennegoor mit einigen Wächtern, um mit Vasselis zu sprechen. Im Gegensatz zu Lotheris besaß er allerdings die Macht, Westfallen binnen weniger Stunden zu zerstören, und das wusste er.
    »Es ist spät, meine Krieger sind müde, und ich habe nicht den Wunsch, mit Euch zu verhandeln, Vasselis«, sagte Vennegoor ohne Einleitung. »Die Lage ist völlig klar. Morgen früh werdet Ihr Euch mir zusammen mit allen noch lebenden Angehörigen der Autorität ergeben. Ich habe keinen Streit mit Euren Leviumkriegern und Euren Wachen. Sie sind frei und können abziehen. Wenn Ihr Euch nicht ergebt, werde ich diese hübsche kleine Stadt zerstören, die Ihr mit dieser hässlichen, schwachen Verteidigung verunstaltet habt. Ich werde jeden Mann, jede Frau und jedes Kind darin töten. Ich werde jedes Schaf, jede Kuh, jeden Hund und jede Katze abschlachten.«
    Damit zog er sein Pferd herum und ritt davon.
    »Kann er das tun?«, fragte Hesther, die neben Vasselis stand. »Können wir uns gegen so viele verteidigen?«
    »Nein«, erwiderte Harkov. »Sie sind uns überlegen. Es sind weit mehr, als wir in unseren schlimmsten Befürchtungen erwartet haben. Wir können nur ausharren und auf ein Wunder hoffen.«
    Vasselis starrte die Gottesritter an. »Was, glaubt Ihr, würde jetzt ein Held tun?«
    Widerstreitende Gefühle und Gedanken überkamen ihn. Er wandte sich von den Feinden ab und betrachtete Westfallen. Das Juwel von Caraduk war elendig heruntergekommen. Die Leute zogen die Köpfe ein und liefen umher wie Verurteilte. Manche konnten immer noch nicht fassen, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. Vasselis schüttelte den Kopf. Er musste aufpassen, um nicht vom Zorn über dieses Unrecht übermannt zu werden.
    »Ein Held zu sein bedeutet, niemals die eigenen Überzeugungen aufzugeben und für das zu sterben, an das man glaubt, wenn es denn sein muss. Es bedeutet, im Angesicht des Bösen tapfer zu bleiben.«
    »Ist das nicht ein wenig zu romantisch und idealistisch, Hauptmann Harkov?«, fragte Vasselis. »Es ist jedenfalls falsch.«
    Auch in Hesthers Augen entdeckte er die Furcht, die inzwischen die ganze Stadt gepackt hatte. Es würde noch schlimmer werden.

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