Die Kinder von Estorea 02 - Der magische Bann
den jungen Mann am Ärmel fest.
»Ich weiß, dass es schwer ist, aber versuche, ihn nicht zu verärgern. Wir brauchen ihn. Er besitzt große Kräfte. Das weißt du, und das weiß er auch selbst.«
»Ich werde mich bemühen.«
Im Innern konnte man das Kuppeldach nicht erkennen. Die Balken waren zu hoch und verloren sich im Schatten. Ringsherum waren an den Wänden des großen Saals Laternen aufgehängt, und der Rauch des Feuers wurde durch einen Kamin abgeleitet, dessen Öffnung sich nur ein paar Armeslängen über den höchsten Flammen befand. Die Halle war ringsum mit Bänken ausgestattet, die alle dem Feuer in der Mitte zugewandt waren. Ein mit Steinen ausgelegter Bereich war vor dem Feuer ausgespart.
Vier Karku saßen im inneren Ring der Bänke. Zu ihnen wurden die Besucher nun geführt. Jhered setzte sich auf die linke Seite. Die Aufgestiegenen, Menas und Kovan nahmen neben ihm Platz. Harban stellte sich hinter Jhered, um zu übersetzen.
»Wer sind sie?«, flüsterte er.
»Wir sind die Gor-Camas«, erklärte einer von ihnen. Er war alt. Sein Gesicht und der Kopf waren bleich und beinahe haarlos, und er hatte sich trotz der Wärme in dicke Pelze gehüllt. »Die Hüter der Berge in Yllin-Qyist.« Er überlegte einen Augenblick. »Ihr könntet uns wohl als Quästoren oder Magistraten betrachten. Ich bin Icenga-Qyist. Willkommen. Willkommen, ihr alle.«
»Wir fühlen uns geehrt, dass ihr uns in eure Stadt eingeladen habt«, erwiderte Jhered. »Das ist ein unerwarteter, aber sehr willkommener Freundschaftsbeweis. Die Gebirgspässe sind kalt und unwirtlich.« Er bemühte sich, in Karku zu antworten, aber Icenga wehrte freundlich ab.
»Versuche es gar nicht erst«, sagte er, und die anderen lächelten. »Deine Betonungen geben manchen Worten eine … äh … andere Bedeutung. Aber vielen Dank.«
Nun musterten Icenga und die anderen Gor-Camas ausgiebig die vier Aufgestiegenen und betrachteten vor allem deren Gesichter. Jhered spürte, wie sie nervös wurden, und warnte sie mit einem scharfen Blick. Arducius erklärte Ossacer flüsternd, was vor sich ging.
»Eure große Konkordanz hat ihre Zukunft verspielt, genau wie Gorian es vorhergesehen hat«, erklärte Icenga schließlich.
Gorian hob den Kopf. »Kanntest du ihn? Gorian, meine ich?«
Icenga lachte. Es war ein freundliches Geräusch, das laut in der Halle dröhnte. »Nein, junger Mensch. Sehe ich wirklich so alt aus? Ich fürchte, die Geschichten über unsere Unsterblichkeit sind so falsch wie viele andere.«
»Oh«, sagte Gorian enttäuscht.
»Aber er war der erste Außenstehende, den wir an unseren Herd einluden. Seine Worte waren wie Echos unserer vergessenen Vergangenheit, an die wir uns nur in Versen, Geschichten und mythischen Bildern erinnern. Er sagte, eines Tages würden andere kommen, aus ihren Heimen verjagt von denen, die sie eigentlich hätten von Herzen begrüßen sollen.«
»Hat er denn …« Mirron unterbrach sich, als die Gor-Camas sich zu ihr umdrehten. »Hat er denn hier in Kark andere wie uns gefunden?«
Harban übersetzte leise, und die vier nickten.
»Oh ja«, bestätigte Icenga. »Deshalb blieb er so lange hier. Wir sind seit jeher der Gnade der launischen Naturgewalten ausgeliefert. Unsere Tiere und Pflanzen gedeihen, wo es beinahe kein Leben mehr gibt. Die Natur verlangte, dass es einige unter uns gab, die diese Dinge besser verstanden als andere, genau wie der Herr der Berge verlangte, dass einige von uns Kupfer, Eisen und Gold finden können.
Allerdings sind sie nicht ganz so wie ihr, auch wenn er ankündigte, dass einige mit eurem Wissen unter Lebensgefahr hierherkommen würden. Niemand kann die Gorthocks mit einem bloßen Gedanken so zähmen wie ihr.«
»Ich bin verwirrt«, gab Jhered zu. Er wandte sich an Arducius. »Sagte die Autorität nicht, dass alles, was Gorian wusste, in Westfallen dokumentiert sei? Dies hier ist eine gewaltige Lücke.«
Arducius wusste keine Antwort.
»Wir ließen ihn schwören, niemals unsere Geheimnisse preiszugeben«, erklärte Icenga mit funkelnden Augen. »Die Geister unserer Vorfahren, die uns vor Schaden behüten, freuen sich heute darüber, dass ihr Vertrauen in ihn berechtigt war. Genau dieses Vertrauen setzen wir jetzt in euch. Nichts, was ihr hier seht oder hört, darf außerhalb unseres Landes erwähnt werden.«
»Aber warum wurde es auch dem Aufstieg verheimlicht?«, überlegte Ossacer.
»Weil die Gefahr viel zu groß ist, dass Außenstehende etwas erfahren. Wir wollen keine
Weitere Kostenlose Bücher