Die Kinderhexe
seiner Stimme schwang nicht nur Überraschung mit, sondern auch Ekel vor der schmutzigen Brut.
Auch der Bischof war ratlos. Auf seinen Stab gestützt, hob er den Blick zum Himmel. «O Herr, wieso schickst du uns diese Plage?»
Lorentz drängte sich an den Erwachsenen vorbei.
«Es wird nicht die letzte sein», sagte er dreist, «wenn Ihr uns nicht gebt, was wir wollen.»
Wütend fuhr Faltermayer ihn an. «Bist du dafür verantwortlich?»
«Das sind meine Soldaten», antwortete er. «Kinder, die ihr verstoßen habt, die aber nicht länger in den Kellern verhungern wollen. Gebt uns Essen und ein Heim, dann wollen wir Euch verschonen.»
«Zum Teufel mit dir und deiner Brut!» Er verpasste ihm eine Ohrfeige, und Lorentz stürzte die Stufen des Doms hinunter.
Lorentz hatte sich nicht weiter wehgetan, der eigentliche Schmerz war ein anderer, ein wohlvertrauter.
«Das werdet Ihr bereuen», stieß er voller Abscheu aus. «Ihr und jeder andere, der uns missachtet.»
Dann lief er zu seinen Gefährten und erteilte ihnen Befehle, auf welche Häuser sie sich vorrangig stürzen sollten. Den Werkstätten der wohlhabenden Handwerker, die sich an der Domstraße entlangreihten, gehörte sein Augenmerk. Die Kinder drangen durch Fenster und Türen ein und holten alles heraus, was ihnen von Wert schien.
Faltermayer rief einen Stadtknecht herbei. «Alarmiert die bischöflichen Truppen.»
«Aber die sind doch schon Richtung Norden gezogen», antwortete dieser, «um zu den Kaiserlichen zu stoßen.»
Das kleine Heer, bestehend aus angeworbenen Söldnern, die der Bischof der Liga zur Verfügung stellen musste, war vor zwei Tagen verschifft worden. Nur ein kleiner Rest, vierzig bis fünfzig Mann, mochte noch in der Stadt sein, und die lagen an einem Sonntagmorgen zweifellos betrunken in ihren Quartieren.
«Hol jeden einzelnen Mann her», befahl er. «Versprich ihnen eine Handvoll Gulden.»
Der Stadtknecht rannte los. Er musste die Domstraße hinunter und zu den Quartieren, die entlang des Mains gelegen waren. Auf seinem Weg flogen ihm Steine und Prügel hinterher.
Kathi und Volkhardt sahen ihn Haken schlagen, wie es ein Hase auf der Flucht vor seinen Verfolgern tat. Sie kamen über die Brücke von der anderen Mainseite herübergelaufen. Die Nacht hatten sie in Volkhardts Versteck auf dem Nikolausberg verbracht. Nun wollten sie sehen, was es mit dem Rauch und dem Glockengeläut auf sich hatte. Oben in den Turmstühlen sahen sie Kinder an den Glocken.
«Was machen die da oben?», fragte Kathi.
«Bestimmt nichts Gutes», antwortete Volkhardt. Es gab nur einen, der sie da hochgeschickt haben konnte – Lorentz. Und als Volkhardt seine ehemaligen Schwarzen Banden auf der Domstraße erkannte, wusste er, dass Lorentz sein Versprechen wahrgemacht hatte.
Er hielt Kathi am Wachhaus zurück. «Warte, es ist besser, wenn sie uns nicht sehen.»
Kathi hatte in den vergangenen Tagen gelernt, auf seine Worte zu hören, und für die Schwarzen Banden gab es ohnehin niemanden, der besser Bescheid wusste. «Was hast du vor?»
«Du bleibst hier. Am besten, du versteckst dich im Wachhaus. Ich werde mir Lorentz schnappen. Dann hat dieser Spuk endlich ein Ende.»
«Es ist zu gefährlich. Du bist ein Einzelner gegen so viele.»
«Ich werde aufpassen, keine Sorge.»
Er schob sie zur Tür hinein, wo eine schmale Treppe nach oben führte. Kathi nahm eilig die Stufen. Am Fenster unter dem Dach hatte sie einen ausgezeichneten Blick auf die Vorgänge in der Domstraße.
Sie sah zwei Stadtknechte, die sich mühsam der Kinder erwehrten. Was war nur mit ihnen los? Wie konnte es sein, dass Kinder es wagten, gegen die Stadtknechte aufzubegehren? Der Hieb eines Erwachsenen hätte gut drei von ihnen töten können, andererseits konnten auch drei Kinder einen Erwachsenen in Bedrängnis bringen, wenn sie es richtig anstellten. Die wenigen Stadtknechte waren eindeutig in der Unterzahl. Gegen die wild gewordenen Horden konnten sie nichts ausrichten. Einige liefen davon, um Verstärkung zu holen, andere setzten sich mit Hieben und Tritten zur Wehr.
Am Portal des Doms entdeckte sie Faltermayer und den Bischof. Daneben standen Ludwig und Grit, die sie mit weißem Hemd und hochgesteckten Haaren fast nicht erkannt hätte. Verzweifelte Bürger schoben sich an ihnen vorbei und liefen zu ihren Häusern.
Je mehr Bürger auf die Straße drangen, desto mehr gerieten die Schwarzen Banden ins Hintertreffen. Sie hatten die Überraschung auf ihrer Seite gehabt, doch
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