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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Satan, dessen Braut sie auf dem Schalksberg geworden war.»
    Erstaunen machte sich breit, gefolgt von Abscheu und Entrüstung. Rufe nach Vergeltung wurden laut. Helene war wie erstarrt. Was behauptete dieser Lügner und Betrüger dort oben von ihrer Tochter? Sie sei des Teufels Braut? Sie wollte aufschreien und diesem Handlanger des Bösen übers Maul fahren. Doch Otto und Barbara hielten sie zurück.
    «Hört nicht hin», sagte Barbara, «Ludwig kann ihr nichts anhaben. Kathi ist nicht länger in seiner Gewalt. Kommt mit, wir werden sie suchen.»
    Helene fiel es schwer, auf die beschwichtigenden Worte Barbaras zu hören. Aber sie hatte recht. Wenn Ludwig so über Kathi sprach, dann musste es einen Grund dafür geben. Kathi hatte ihn mit ihrem Geständnis auf dem Sanderanger der Lüge überführt und somit in Todesgefahr gebracht.
    Wie zutreffend diese Gedanken waren, konnte Helene nicht ahnen. Ludwig kämpfte von der Kanzel herab um sein Leben. Seine Karriere als vollwertiger Pfarrer hatte sich in den vergangenen Tagen prächtig entwickelt. Nie und nimmer würde er sie aufs Spiel setzen, und sei es zum Preis eines Menschenlebens.
    «Der Teufel habe ihr die Lügen aufgetragen, sagte sie, um unseren Geist zu vernebeln und die Verdammten vor dem Scheiterhaufen zu bewahren. Denn er benötige seine treuen Gefährten, damit sie weiterhin die Saat des Bösen in unsere Herzen streuen. Deshalb hat sie widerrufen, und deshalb hat sich alles Gute in ihr in Böses verwandelt, sodass nicht einmal der beste Schnitter sie mehr retten kann.»
    «Hexe», schrie einer und erhielt lautstark Zustimmung von den Umstehenden. «Holt sie aus dem Kloster und richtet sie!»
    Damit war Ludwig an der kritischen Stelle angelangt. Jetzt galt es. Tod oder Leben.
    «Dann sprach Kathi einen Zauberspruch. Keiner gläubigen Seele solle es länger vergönnt sein, den guten Samen von dem schlechten unterscheiden zu können. Keiner einzigen Seele …»
    Er streckte die Hand aus und zeigte auf Grit. «… außer diesem Mädchen dort, denn sie ist seit ihrer Wandlung von göttlicher Gnade erfüllt. Einer Gnade, die nicht einmal der Teufel brechen kann. Sie hasse und verfluche sie deswegen, sagte Kathi. Dann stieß sie das Fenster auf und flüchtete in die Arme ihres Meisters – des Teufels selbst. Mit ihm flog sie durch die Nacht, auf den Schalksberg hinauf.»
    Atemloses Schweigen. Das war der entscheidende Augenblick. Würden sie ihm glauben? Ludwigs Herz pochte.
    Der Bischof schaute überrascht zu Faltermayer hinüber. Was ging hier vor? Doch Faltermayer war ebenso überrumpelt worden. Von nun an sollte also nicht mehr sein Malefizgericht die Wahrheit den Angeklagten abtrotzen dürfen, sondern nur noch dieses Mädchen?
    Der bis dahin lethargisch wirkende Christian Dornbusch erwachte ebenfalls zu neuem Leben. Hatte er das eben richtig verstanden? Grit sollte ab jetzt die einzig gültige Instanz bei der Hexenverfolgung sein? Was für ein entsetzlicher Gedanke.
    Ludwig hatte für diesen Moment vorgesorgt. Er gab Grit das verabredete Zeichen.
    «Hört mich an», rief sie den Zweiflern und Ungläubigen entgegen. «Der Herr hat mir große Gnade widerfahren lassen. Er hat mich gerettet auf meinem Weg in die Hölle, so wie er der Maria Magdalena sieben Dämonen ausgetrieben hat. Im Namen dieser Heiligen, die gleichsam die Schutzpatronin der verführten Sünderinnen, der Studenten und Gefangenen, aber auch der Winzer und Weinhändler ist, will ich die Gabe des Herrn gegen alle die wenden, die Böses im Herzen tragen und mit dem Teufel …»
    Ein gellender Aufschrei hallte durch die Weite des Doms und schnitt ihr das Wort ab.
    «Hexe!»
    Die Köpfe fuhren herum. Woher kam die Anschuldigung?
    «Du bist eine verfluchte Hexe!»
    Alle blickten zum Hauptportal, in das helle Licht, das durch die hohen Türen hereinfiel. Zu Anfang starrten sie nur in ein blendendes Weiß, doch dann sahen sie etwas Dunkles, etwas, das sich bewegte, ja mit den Flügeln schlug, auf sich zukommen. Die Vordersten duckten sich, andere sprangen zur Seite. Ein schwarzer, großer Vogel kam über ihre Köpfe hereingeflogen und krächzte, dass es einem bang werden konnte.
    Es war Kolk, der das lange Kirchenschiff durchkreuzte und den nächsten sicheren Platz aufsuchte, von dem aus er die verschreckten Bürger im Auge behielt. Er ließ sich auf dem Querbalken des riesigen Kreuzes nieder, das hoch oben zwischen Chor und Langhaus von der Decke herabhing.
    Dem Bischof fuhr das blanke Entsetzen in

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