Die Kinderhexe
ansehen, was ihr blühte, wenn sie sich nicht zur Hexerei bekannte.
«Wie oft bist du zur Nacht auf den Friedhof gegangen und hast tote Kinder ausgegraben?», fragte der Malefizschreiber erneut.
Wieder erhielt er keine Antwort.
«Die nächste Frage», ordnete Faltermayer an. Es war Zeit, dass sie die über zweihundert Fragen lange Liste endlich hinter sich brachten. Es warteten noch andere Angeklagte auf ihn.
Der Malefizschreiber kreuzte die Frage als unbeantwortet an und las die nächste vor.
«Was hast du dann mit den Kindern getan? Hast du sie gekocht, gesotten oder gebraten? Wo hast du sie verzehrt? Wer war daran beteiligt, und hat es dir geschmeckt?»
Kathi schaute auf. Was für eine Widerwärtigkeit. Niemand würde diese abstruse Frage beantworten. Doch Faltermayer meinte es ernst. Er ließ den Malefizschreiber die Frage wiederholen, und wieder erhielt er keine Antwort.
«Das Eisen», ordnete er an. Der Folterknecht legte Felicitas die glühende Zange auf die Brust. Sie bäumte sich auf, ein heiserer Schrei ertönte, dann sackte sie kraftlos zusammen.
«Was hast du dann mit den Kindern getan?», fragte der Malefizschreiber. «Hast du sie gekocht …»
«Herr», unterbrach der Folterknecht. «Das Weib atmet nicht mehr.»
Das holte Faltermayer aus seiner Teilnahmslosigkeit. «Was sagst du da?»
Der Folterknecht legte ihr nochmals das glühende Eisen auf den Körper. Doch Felicitas reagierte nicht. «Ich glaube, das Weib ist tot.»
Erbost stand Faltermayer auf und schritt zur Leiter. Er stieß den Folterknecht zur Seite, nahm das Eisen und legte es Felicitas nochmals auf. Sie zeigte keine Reaktion. Faltermayer hingegen schon. Wutentbrannt wandte er sich dem Folterknecht zu.
«Du verfluchter Hurensohn», schrie er ihn an, «habe ich dir nicht gesagt, du sollst vorsichtig mit ihr umgehen? Das Weib ist keinen Pfifferling mehr wert. Weißt du, was mir dadurch entgeht?»
Der Knecht konnte es sich nicht vorstellen, Kathi aber schon. Sie erinnerte sich der Schriftstücke, die ihr Dürr gezeigt hatte. Felicitas Dornbusch war die Tochter eines wohlhabenden Weinhändlers. Sie musste für Tausende Gulden gut sein. Jetzt, da sie tot war, würde ihr Vater keinen Kreuzer mehr bezahlen.
«Nun zu dir», sagte Faltermayer und wandte sich Kathi zu. Er packte sie am Arm und führte sie zur Leiter. «Schau sie dir gut an. Ich hoffe, du machst nicht den gleichen Fehler. Ich gebe dir bis heute Abend Zeit, über deine Aussage nachzudenken. Und wehe, es ist nicht das, was ich von dir erwarte.»
Dann ließ er nach einem neuen Folterknecht schicken, der die tote Felicitas fortschaffen sollte.
Kathis Augen ruhten auf dem leblosen und geschundenen Körper von Felicitas. Sie mochte sich nicht vorstellen, welche Qualen die Ratsfrau hatte ausstehen müssen. Würde sie genauso viel Kraft aufbringen, oder war es besser zu gestehen, was Faltermayer von ihr hören wollte? In beiden Fällen wäre das Ergebnis das gleiche – der Scheiterhaufen. Nur der Weg dorthin war anders. Tränen traten ihr in die Augen. Morgen war Brandtag.
Vor den Toren des Juliusspitals standen seit dem frühen Morgen Christian Dornbusch, Helene und Volkhardt. Man hielt Abstand und wartete auf Nachricht aus dem Spital. Keiner von ihnen kannte den anderen, aber jeder ahnte, dass sie ein gemeinsames Schicksal verband. Noch wagte niemand, den anderen anzusprechen. Erst als ein gemeinsamer Feind um die Ecke kam und auf das Portal zuhielt, erfüllte sie der gleiche Zorn.
Pfarrer Ludwig erschrak. Mit Christian Dornbusch und Kathis Mutter hatte er nicht gerechnet. Er beschleunigte seinen Schritt.
Helene stellte sich ihm in den Weg. «Ihr seid ein zweiter Judas Ischariot. Ich habe Euch vertraut und Kathi in Eure Obhut gegeben. Brennen sollt Ihr. Pfui.» Sie spuckte ihm ins Gesicht.
Ludwigs Hand zuckte, als wolle er die Beleidigung nicht unerwidert lassen. «Geh mir aus dem Weg, Weib», zischte er sie an. «Wenn du es wünschst, kannst du deiner Tochter gerne Gesellschaft leisten. Ein Wort genügt.»
Christian nahm sie zur Seite. «Verzeiht ihr, werter Pfarrer. Es ist der Schmerz einer sich sorgenden Mutter.» Er musste alle Kraft aufwenden, um diese Worte zu sprechen. Am liebsten hätte er diesen Knecht des Teufels eigenhändig erwürgt. Aber das würde ihn nicht weiterbringen. Hier war Diplomatie gefragt. Ludwig war der Einzige, der Zugang zu den Inhaftierten hatte und etwas über Felicitas wissen konnte. Er musste an seine Hilfsbereitschaft appellieren.
Weitere Kostenlose Bücher