Die Kinderhexe
uns gekommen, ein gefallener Engel, der die gute Saat verbrennt und die böse pflegt. Satan ist sein Name, und er ist ein hinterlistiger Teufel. Er ist es, der den bösen Samen in die Herzen unserer guten Kinder sät und sie umsorgt wie ein fürsorglicher Gärtner die zarten Reben. Wer will da noch zur Ernte unterscheiden, was gut und was böse ist, wenn das Gute längst im Bösen aufgegangen ist? Wenn aus dem süßen und dem sauren Becher Wein längst ein und derselbe Schierlingstrunk erwachsen ist?»
Die scharfen Worte taten ihre Wirkung. Sie hallten im weiten Rund des Doms wider, und selbst die Alten und die Tauben merkten auf.
«Vor ein paar Tagen wurde mir als Eurem Kinderpfarrer eine gute Seele, eine zarte Rebe anheimgestellt. Kathi, das erste Kind, das von der Hexe Babette auf den Schalksberg entführt worden ist. Ich habe sie dankbar und fürsorglich unter dem Dach von Neumünster aufgenommen. Sie sei unbeschadet vom Schalksberg zurückgekehrt, hieß es. Der Teufel habe ihr nichts antun können, und dem anderen Kind, Grit, auch nicht.
Zwei junge Reben, die unterschiedlicher nicht sein können. Von göttlicher Gnade beseelt, wandte sich Grit von ihrem alten, liederlichen Leben ab und beschreitet seitdem den rechten Pfad eines wahren Christenmenschen. Aus der lasterhaften Dirne ist durch Gottes Gnade eine demütige Dienerin geworden – genauso wie aus der Maria Magdalena eine würdige Gefährtin unseres Herrn Jesus Christus geworden ist. Die Dämonen haben nicht länger Gewalt über sie. Sie hat die böse Saat in ihrem Herzen getilgt.»
Ludwig zeigte zur Sakristei. Heraus trat Grit, in weißem Gewand, barfüßig, die Haare hochgebunden. Sie stellte sich vor die Gemeinde und zwang sich zu einer Demut, die sie sich niemals hatte vorstellen können. Ihr Auftritt wirkte, sowohl die Priester und der Bischof fanden Gefallen an der reumütigen und hübschen Büßerin als auch die Ratsherren und Bürger in den vorderen Reihen. Die Frauen hingegen blieben misstrauisch.
Als Christian Dornbusch Grit aus der Sakristei treten sah, kehrte der ganze Zorn zurück, den er beim Überwältigen der beiden Stadtknechte empfunden hatte. Er war blind in seinem Wunsch nach Befreiung seiner Felicitas gewesen, hatte alle Vorsicht, das Zögern und die Angst überwunden, um zu retten, was ihm wichtig war. Er war über sich selbst hinausgewachsen. Niemals hatte er es für möglich gehalten, dass der Verrat aus den eigenen Reihen kam.
Doch konnte er Felicitas wirklich dafür verantwortlich machen, oder war auch sie getäuscht worden?
Hatten die Worte des Herrn sie genauso geblendet, wie sie die Pfaffen vergifteten, die mit Hilfe der Heiligen Schrift logen, betrogen und mordeten?
Die Einzige, die das erkannt hatte, war dieses Mädchen Kathi gewesen. Sie hatte auf dem Sanderanger ihre Aussage widerrufen. Jetzt sollte sie die Rache der Gottesverdreher zu spüren bekommen.
«Doch bei Kathi hat sich anderes zugetragen. Gestern hat sie im Angesicht des Feuers widerrufen. Von ihrem Flug zum Schalksberg will sie nichts mehr wissen, schwört gar, dass er sich niemals zugetragen habe und alles eine Lüge sei. Es gäbe gar keine entführten Kinder, so wie es auch keine Hexe Babette gibt.
Hat man so etwas schon jemals gehört?»
Ein Raunen kam aus der Menge. Ungläubiges Kopfschütteln ging durch die Reihen.
«Wir wissen alle, dass sie die Unwahrheit spricht. Auf ihre Aussage hin sind drei schändliche Teufelsanbeter überführt worden, die jahrelang in unserer Mitte gelebt und die Saat des Bösen in unsere Herzen getragen haben. Sie selbst haben es zugegeben, sie selbst haben zuvor die Amme Babette als Hexe erkannt. Und nun soll nichts mehr von alldem richtig sein? Alles eine schändliche, hinterlistige Lüge?»
«Nein», riefen die Ersten. «Niemals.»
Er breitete die Arme aus.
«Lasst mich nun berichten, was sich letzte Nacht zugetragen hat. Um die zwölfte Stunde geschah es, als sich Kathi von ihrem Lager erhob und ans Fenster ging. Sie blickte lange hinaus und redete dabei in einer Sprache, die ich niemals zuvor gehört hatte. Es war, als spräche sie mit jemandem, der draußen in der Nacht auf sie wartete. Auf meine Frage hin, zu wem sie da in welcher Sprache rede, fuhr sie mich plötzlich an, ich solle sie freilassen. Sie müsse dringend hinaus, draußen warte ihr Liebster auf sie. Wer das wohl ist, fragte ich sie, und sie gab mir zur Antwort, der Schnitter sei es. Aber nicht der, den ich zu kennen glaubte, sondern der
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