Die Kinderhexe
dieser Vorteil ging nun zu Ende. Als sich aus den Soldatenquartieren am Main die bischöflichen Truppen über die Brücke näherten, war der Kampf entschieden.
Lorentz hatte für diesen Fall vorgebeugt. Kathi sah ihn auf die Domstraße laufen. Er rief seine Kämpfer zusammen und befahl ihnen, nach allen Seiten zu flüchten, damit sie kein leichtes Ziel boten.
So schnell, wie sie aus den Gassen auf die Domstraße gelangt waren, so schnell waren sie auch wieder verschwunden. Der Spuk war vorüber, das Glockengeläut verstummte. Zurück blieben abgebrannte Strohhaufen, verletzte Stadtknechte und fassungslose Bürger.
Als Kathi aufgeregte Schritte im Wachhaus unter ihr hörte, wusste sie, dass sie den rechten Zeitpunkt zur Flucht verpasst hatte. Sie sah zwar nicht aus wie eine von den Schwarzen Banden, aber danach würden die wütenden Stadtknechte nicht fragen. Es reichte ihnen, dass sie ein Kind festgenommen hatten.
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30
Sieben Kinder waren den Stadtknechten ins Netz gegangen, unter ihnen Kathi. Sie hatte in den vergangenen Tagen vergeblich versucht, Faltermayer davon zu überzeugen, dass sie mit dem Vorfall auf der Domstraße nichts zu tun hatte und nur Zuschauerin gewesen war.
Faltermayer wollte nichts davon hören. Er hatte mit Kathi seinen wichtigsten Fang an jenem Tag gemacht. Das allein zählte. Alles andere war nebensächlich oder wurde zur Nebensache erklärt – wie der Angriff der Schwarzen Banden. Neben Pest, Reformation und Geldknappheit gab es für den Bischof nichts Schlimmeres als eine Auflehnung der Bürger gegen seine herrschaftliche Ordnung. So spielte man den Vorfall in der Domstraße herunter und deklarierte ihn als kurzzeitigen, räumlich begrenzten Ausbruch einer Seuche, die Kopf und Verstand befallen hatte. Ein vergifteter Brunnen war dafür verantwortlich gemacht worden. Jetzt war er zugeschüttet, und man konnte sich wieder der eigentlichen Bedrohung durch die Hexen und Unholde widmen.
Und das war auch dringend notwendig. Seit Ludwigs Predigt und Lorentz’ Auftritt hatte sich etwas Entscheidendes verändert. Hatten Kinder bisher nur Erwachsene des Pakts mit dem Teufel bezichtigt, wandten sie sich nun ihresgleichen zu. Lorentz war mit seiner Selbstbezichtigung der Erste gewesen.
Ich bin Lorentz Rußwurm, Sohn des Spielmanns Karl Rußwurm, und ergebener Knecht des Herrn aller Hexen und Unholde, des Teufels.
Die Selbstanklage hatte bei den Bürgern im Dom einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wie konnte ein Kind sich selbst besagen, wenn es nicht völlig den Verstand verloren hatte oder tatsächlich mit dem Teufel gemeinsame Sache machte?
Lorentz konnten sie nicht danach befragen. Er war seit jenem Sonntagmorgen verschwunden. Blieben die sechs Kinder, die die Stadtknechte hatten einfangen können. Sie gaben unumwunden zu, dass sie Gefährten des Lorentz Rußwurm seien, der im Auftrag des Teufels Zwietracht säe, Hagel und Seuchen herbeizaubere und Kinder den Hexen zuführe. Das mache sie gleichsam zu einem Knecht des Teufels.
Die Nachricht drang auch zu Ludwig und Grit vor, die sich nun einer völlig neuen und unerwarteten Situation gegenübersahen. Kaum jemanden interessierte es noch, wen Grit bei ihren nächtlichen Ausflügen auf den Schalksberg – die sie weiterhin auf Einladung der Hexen unternahm – gesehen haben wollte. Die Aufmerksamkeit galt allein den sechs Teufelskindern.
Auch die Fähigkeit, Hexen und Unholde erkennen zu können, wie Ludwig es von der Kanzel verkündet hatte, überzeugte nicht länger. Die Teufelskinder waren das Maß der Dinge. Sie hatten den kurzen Kampf um die Glaubwürdigkeit für sich entschieden. Und das mit nur einem Auftritt des kleinen Lorentz im Dom.
Die Einzige, die noch mithalten konnte, war Kathi. Sie war die erste Kinderhexe gewesen, hatte zwischenzeitlich geleugnet, war dann von Ludwig öffentlich beschuldigt worden, um nun erneut jeglichen Bund mit dem Teufel zu bestreiten. Dieses Wechselspiel war den Bürgern von anderen Krankheiten her bekannt. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, dass es bei der Hexenseuche nicht genauso sein sollte.
Die Kammern und Zellen, die eigens für die Befragung von Kindern und angesehenen Personen – wie Felicitas Dornbusch – im Juliusspital hergerichtet worden waren, waren mit der Festnahme der sechs Teufelskinder und von Kathi belegt. Faltermayer war angehalten, neuen Raum zu schaffen, um die bezichtigten Kinder aufnehmen zu können. Es zeigte sich, dass die Schule von
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