Die Kinderhexe
auf die beiden einzuschlagen. Endlich hatten sie die Schuldigen gefunden, die für ihre Not und ihr Leid verantwortlich waren. Verflucht sollten sie sein in alle Ewigkeit. Wenn die Stadtknechte nicht energisch mit ihren Spießen dazwischengegangen wären, hätten sich die Anklage und die Urteilsverkündung erübrigt.
So aber blieb Doktor Dürr, der mit seinem Malefizschreiber soeben den Platz betrat, der letzte Akt eines anstrengenden Gerichtsverfahrens vorbehalten. Die schwarze Robe flatterte an seinen Seiten, als er schnellen Schrittes zum bereitgestellten Tisch ging. Er schien nicht gewillt, mehr Zeit als nötig für diese protokollarische Pflicht zu opfern. Die Geständnisse der Angeklagten waren längst gesprochen, die Urteile geschrieben. Ihre Verkündung war nur mehr eine lästige Formsache. In den Kerkern warteten weitere Beschuldigte auf ihr Verfahren. Wenn der Tag fünfundzwanzig Stunden gehabt hätte, dann hätte auch diese Zeit für ihn und seinen Kollegen Doktor Faltermayer nicht ausgereicht, der vielen Arbeit Herr zu werden. Die sonst übliche Prozedur mit Verlesung der Anklageschrift und der Urteilsverkündung hatte er daher auf das Notwendigste abgekürzt.
Nachdem sich Dürr und sein Schreiber gesetzt hatten, machte er seinen Stadtknechten Zeichen, für Ruhe zu sorgen. Einer rührte kräftig die Trommel, sodass das Geschrei und die Verwünschungen allmählich verstummten.
Dürr blickte derweil ausdruckslos in die Menge. Seine Augen wirkten müde, nicht zuletzt der dunklen Ringe wegen, die sich in sein bleiches Gesicht eingegraben hatten. Manch einem grauste es vor diesem Anblick. Der Hexenkommissar sah in seiner schwarzen Kleidung wie der Tod selbst aus.
Als Ruhe eingetreten war, gab er dem Schreiber Anweisung, die Klage zu verlesen. Der erhob sich und sprach weithin hörbar: «Vor dem Malefizgericht zu Würzburg sind erschienen Franziska Glöckner, Witwe des Kaufmanns und Häckers Richard Glöckner …»
Bei der Verlesung des Namens kochte die Wut der Bürger erneut hoch, Schmährufe und Flüche schnitten dem Schreiber das Wort ab. Der Trommler musste erneut für Ruhe sorgen. Dieses Hin und Her wiederholte sich bis zum Ende der Anklage, ebenso beim Schultheißen Haag. Die fünf Fremden blieben auch jetzt fast unbemerkt.
Wer noch fehlte – sowohl in der Verlesung der Anklage als auch auf dem Platz vor der Kanzlei –, war die kleine Johanna. Sie war nicht zu sehen, obwohl jeder wusste, dass sie am heutigen Tag gerichtet werden sollte.
«… und Johanna Klauber, sechste Tochter der bereits gerichteten Eheleute Wilhelm und Agnes Klauber.»
Stille kehrte ein. Ein niederträchtiges altes Weib und einen verdorbenen Schultheißen zu richten war eine Sache, eine andere, ein siebenjähriges Mädchen, das vor wenigen Wochen noch die Zuneigung vieler Bürger genossen hatte, der Hexerei anzuklagen. Angespannt wartete man auf die Anklagepunkte, die ihr zur Last gelegt wurden.
Kathi, Otto und Barbara nahmen den Stimmungsumschwung wahr. Neugierig blickten sie um sich. Tatsächlich, alle, die noch vor einer Minute die wildesten Verwünschungen ausgestoßen und am liebsten dem Henker die Arbeit abgenommen hätten, schienen nun wie erstarrt.
«… habe sie aus Heu Vögel gezaubert …»
Die Stimme des Schreibers drang leicht über die vielen Köpfe hinweg, so ruhig war es nun geworden.
«… eine Hexensalbe hergestellt …»
Hätte es sich um eine andere Angeklagte gehandelt, wäre dieser Vorwurf keineswegs mit stiller Betroffenheit hingenommen worden.
«… des Nachts auf dem Besen ausgefahren …»
Kathi glaubte, ein Schniefen hinter sich zu hören, als kämpfe jemand mit den Tränen.
«… und mit dem Teufel Unzucht begangen.»
Mit dem Teufel Unzucht begangen?
Kathi und Barbara schauten sich an.
«Johanna soll was?», fragte Otto.
Barbara legte ihm die Hand auf den Mund. «Still.»
«So hört das Urteil, das über die Malefikanten gesprochen wird.»
Wer Gnade vom hohen Gericht zugesprochen bekam, durfte auf einen weniger grausamen Tod hoffen, als im heißen und brennenden Qualm des Scheiterhaufens eine Stunde oder länger den grässlichen Qualen des Erstickens und des langsamen Verbrennens ausgeliefert zu sein. Das Schwert war das Beste, auf das man hoffen konnte. Darauf folgten das Ertränken, das Erdrosseln und schließlich das Rad.
Die fünf Unbekannten, die sich des Wetterzaubers und der Vergiftung von Speis und Trank schuldig gemacht hatten, sollten ans Rad gebracht werden. Der
Weitere Kostenlose Bücher