Die Kinderhexe
Straßen?»
Kathi schluckte. «Wir haben dem ehrwürdigen Vikar Ludwig bei der Vorbereitung der Messe geholfen», log sie. Barbara und Otto starrten sie an.
«Zu so später Stunde?»
«Ja, Herr. Es gab viel zu tun.»
Im Schein der Fackel prüfte der Stadtknecht, ob er der Aussage trauen konnte. Diese Kinder sahen halbwegs anständig aus, nicht wie die vielen kleinen Ratten, die sich nachts in der Stadt herumtrieben.
«Gut, dann will ich euch glauben. Aber nun ist es Zeit. Los, geht nach Hause. Wenn ich euch heute Nacht noch einmal sehe, lernt ihr die Rute kennen.»
Die drei nickten eifrig und machten sich auf den Weg. Jeder in eine andere Richtung.
Kathi ließ den Dom links liegen und hielt auf St. Peter zu. Sie musste vorsichtig sein, der Weg war weit und die Bekanntschaft mit noch einem Stadtknecht wollte sie nicht riskieren. Sie ging schnell und achtete auf die Fackeln wie auch auf das gefährliche Rattenvolk, vor dem Otto sie gewarnt hatte.
Seit Babettes Verhaftung kam sie nun jeden Abend zu dem neuen Malefizhaus, das der Bischof hatte erbauen lassen. Unten im Keller war Babette untergebracht, in einem der Kerker, aus dem Schreie, Flehen um Erbarmen und wüste Beschimpfungen nach draußen drangen, durchmischt von einem widerlichen Gestank nach alten Fäkalien und frischem Blut. Über ein im Boden eingelassenes Gitter hatte sie in der Nacht zuvor einen Gefangenen klagen und flehen gehört.
Ob er Babette kenne, hatte sie ihn gefragt.
Doch er war zu schwach, um einen klaren Gedanken fassen oder eine richtige Antwort geben zu können. Einzig den Namen Babette konnte er aufgreifen und ihn ein ums andere Mal wiederholen.
In dieser Nacht würde es Kathi noch einmal versuchen. Im schützenden Dunkel der Nacht schlich sie hinüber zu dem im Boden eingelassenen Gitter, das frische Luft in die Zellen brachte und den Gestank auf die Straße strömen ließ.
Sie beugte sich hinab und rief mit gedämpfter Stimme: «Hallo, ist da jemand?»
Dann legte sie das Ohr auf das Gitter und horchte, ob jemand ihr Rufen gehört hatte. Wie es schien, war das nicht der Fall. Nochmals rief sie in das dunkle Loch hinein. Da endlich hörte sie ein Knarzen, als wenn jemand etwas zur Seite schob.
«Ist da jemand?», wiederholte sie.
Schließlich kam von unten ein leises «Wer bist du?». Die Stimme klang alt und heiser, als käme sie aus einer Kehle, die lange nichts mehr zu trinken bekommen hatte.
«Ich bin Kathi. Und wer bist du?»
«Mein Name ist Magda.» Sie hustete und schnappte nach frischer Luft. «Was willst du von uns Verdammten?»
«Ich suche eine alte Amme. Babette heißt sie und soll in diesem Malefizhaus eingesperrt sein.»
«Babette …», wiederholte die Stimme. «Seit wann ist sie hier?»
Kathi musste nachdenken und zählte die Tage. «Zehn, es muss vor zehn Tagen gewesen sein, als sie der Dürr gefangen genommen hat.»
Die Stimme änderte sich. «Ah, Meister Dürr …» Fast klang sie bewundernd. Kathi war irritiert.
«Wisst Ihr, wie es Babette geht?»
«Meister Dürr», wiederholte die Stimme. «Ein wahrer Streiter für die gerechte Sache.»
Kathi wich zurück. «Was sagt Ihr da?»
«Wenn sich Meister Dürr deiner Babette angenommen hat, dann soll dir nicht bange sein.»
Kathi verstand nicht. «Bange? Wie kommt Ihr darauf?»
Die Antwort ging in einem Hustenschwall unter, und so fragte sie erneut: «Wie kommt Ihr darauf, dass es mir nicht bange sein soll, wenn Meister Dürr sich um sie kümmert?»
«Weil jeder, der mit ihm zu tun hatte …»
Die Stimme brach ab.
Kathi beugte sich abermals tief hinunter. «Sagt, was passiert mit denen, die mit Meister Dürr zu tun hatten?»
Die alte, krächzende Stimme kam zurück. «Komm näher, schönes Kind, ich kann dich nicht sehen und nicht mehr so laut sprechen.»
Kathi zögerte. Sie kannte diese Frau nicht, aber wenn sie etwas über Babette wusste, sollte es das Risiko wert sein. So näherte sie sich dem Gitter.
«Weiter so», sprach die Stimme. «Nur weiter.»
Als ihr Kopf nur noch eine Handbreit vom Gitter entfernt war, machte sie halt. «Das soll genügen, gute alte Frau. Nun sprecht: Was passiert …»
Obwohl die Gitterstäbe eng genug gefasst waren, um keine Hand hindurchzulassen, verhielt es sich mit der abgemagerten, knochigen Hand einer alten Frau anders. Die Hand griff durch das Gitter hindurch und packte Kathi an ihren Haaren, dass sie vor Schmerz aufschrie.
«Lasst mich, um Himmels willen, lasst mich los.»
Aus der vormals brüchigen
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