Die Kinderhexe
nur, an Dürr vorbeizukommen, ohne Verdacht zu erwecken?
Die Frage wurde mit Erscheinen der Hebamme überflüssig. Nun war es zu spät. Sie konnte nur hoffen, dass die übrigen Hinweise ausreichten, um sie zu überzeugen.
«Ist sie das?», fragte die Hebamme und wies auf Kathi.
Dürr nickte. «Untersuche sie.» Dann zeigte er auf Kathis Nachthemd. «Da sind Spuren.»
Die Hebamme nahm es zur Kenntnis und führte Kathi in die Kammer nebenan. Dort war es merklich kühler, dafür heller. Durch das Fenster strahlte das Licht herein und fiel auf einen Tisch, der inmitten des Raums stand. Davor stand ein Stuhl. An den Seiten der Tischplatte erkannte Kathi Ketten, die fest mit dem Tisch verbunden waren und in einer Schelle endeten. Zweifellos wurden mit diesen Ketten Menschen an den Tisch gefesselt. Fragte sich nur, zu welchem Zweck.
«Leg dich mit dem Rücken auf den Tisch», bestimmte die Hebamme. Kathi folgte der Anweisung. «Ich hoffe, dass wir die nicht brauchen», sagte sie und deutete dabei auf die Ketten.
Kathi schüttelte entschieden den Kopf und legte sich hin.
Ihr Blick ruhte auf der Decke, die speckig braun glänzte. An den Seiten warfen Rußfahnen ihre Schatten. Sie fragte sich, wie viele schon vor ihr auf diesem Tisch gelegen hatten. Ob sie alle dieselben bangen Fragen umgetrieben hatte wie Kathi in diesem Moment? Wie wird die Untersuchung für mich enden? Ihr Herz schlug schneller.
«Beine anwinkeln», befahl die Frau und streifte ihr das Nachthemd bis zum Bauch hoch. Kathi spürte die prüfenden Blicke auf ihrer Haut. Zuerst würde die Hebamme die Striemen sehen und sich fragen, wie sie dort hingekommen waren.
«Du warst letzte Nacht auf dem Schalksberg?», fragte sie unvermittelt.
«Ja», antwortete Kathi.
Dann würde sie nach weiteren Malen Ausschau halten. Male der Gewalt, Male der Verwandlung, Male des Teufels.
«Hast du dich ihm hingegeben?»
«Nein», antwortete Kathi überzeugt, um im nächsten Moment laut aufzuschreien.
Etwas Hartes, Kühles war in sie eingedrungen. Es spreizte sie auseinander, sodass sie glaubte, den Halt zu verlieren.
«Bitte», flehte sie, «hört auf damit.»
«Ruhig», sagte die Frau, «es ist gleich vorüber.»
Sie blickte an sich herunter und sah die Hebamme auf dem Stuhl sitzen, nach vorne gebeugt und mit prüfendem Blick.
«Du hast immer keusch gelebt», sagte diese mehr zu sich selbst, als dass sie fragte.
Offenbar hatte sie gefunden, wonach sie suchte.
«Nie hat mich jemand berührt», antwortete Kathi.
Die Hebamme wich zurück, der Stuhl knarrte. «Das will ich dir glauben.»
Doch in dem Moment, als sie sich erheben wollte, hielt sie plötzlich inne.
«Warte», sagte sie und griff Kathi unter ihren Hintern. Dort, wo sich das Nachthemd gestaucht hatte, war ihr etwas aufgefallen, etwas, das nicht dorthin gehörte. Mit gespreizten Fingern zog sie es hervor und betrachtete es im Licht. Es waren Haare, auffallend hell und gerade. Sie konnten von allem Möglichen stammen, nur nicht von diesem Kind.
Als Kathi den Kopf hob, erkannte sie sofort, um was es sich handelte – die Haare der Ziege, die sie vergeblich in der Schreibstube gesucht hatte. Vermutlich hatte sie sie im Schlaf losgelassen und war die ganze Zeit auf ihnen gesessen. Kein Wunder, dass sie verschwunden geblieben waren.
Die Hebamme konnte sich keinen rechten Reim auf diese Haare machen, bis sie schließlich daran roch.
«Bah», wandte sie sich angewidert ab, «das sind ja …»
Mehr sagte sie nicht, sie befahl nur noch: «Du bleibst hier.» Dann verschwand sie eilends in die Schreibstube.
Kathi stemmte sich hoch. Es schmerzte zwischen ihren Beinen, aber sie musste einfach wissen, worüber die Hebamme mit dem Hexenkommissar sprach. Wie auf rohen Eiern trippelte sie zur Tür und spähte durch das Türschloss.
Von den Worten, die dort gesprochen wurden, verstand sie nicht viel. Doch was sie sah – wie die Hebamme die Untersuchung schilderte und wie Dürr darauf reagierte –, reichte völlig aus, um sich ein klares Bild vom Inhalt ihres Berichts zu machen.
Zu Anfang zeichnete die Hebamme die Striemen nach, die sich auf Kathis Schenkel befanden. Sie waren ein klarer Hinweis für einen Ritt auf dem Besen. Dann beschrieb sie mit auffallend gelassener Miene Kathis Jungfräulichkeit. Dürr fragte nach, aber das Ergebnis blieb das Gleiche: Kathi war unberührt.
Der Malefizschreiber war bei dieser Versicherung seltsam berührt. Eine Last schien ihm von den Schultern zu fallen.
Dürr wusste
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