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Die Kinderhexe

Die Kinderhexe

Titel: Die Kinderhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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aussieht», erwiderte Kathi.
    Anna ließ sich nicht so schnell verunsichern. «Sicher. Ihr etwa nicht?»
    «Beschreib sie uns», forderte Grit.
    «Nichts leichter als das. Sie ist ein altes, schrulliges Hexenweib mit einer langen, krummen Nase. Ihr ausgemergelter Körper ist übersät mit Warzen und Beulen, aus denen der Schwarze Tod trieft. Ihre Augen funkeln wie Feuer …»
    «Ihre beiden Augen?», unterbrach Kathi hinterhältig.
    Bejahend fuhr Anna fort. «Ja, in ihren beiden Augen spiegeln sich die Flammen der Hölle.» Sie unterstrich ihre Worte mit übertriebener Theatralik.
    Kathi und Grit schauten sich an. Diese Lügenhexe hatte Babette niemals gesehen, so viel war sicher. Sie wiederholte lediglich, was allgemein über Hexen erzählt wurde. Die Beschreibung konnte auf nahezu jedes alte Weibsbild zutreffen.
    Nur auf Andreß machten die Worte Eindruck. Er hing staunend an Annas Lippen.
    Sie wurden durch den Folterknecht unterbrochen. «Ihr vier», raunzte er sie an, «alle reinkommen.»
    Jetzt war es so weit, seufzte Kathi. Jetzt würde sich herausstellen, was ihr Plan wirklich taugte. Sie folgte den anderen in die Kammer.
    Als Ersten sah sie Dürr. Er saß am selben Tisch, auf dem sie gestern noch die Untersuchung der Hebamme hatte über sich ergehen lassen müssen. Er schaute sie aus seinen kalten Augen ausdruckslos an. Neben ihm protokollierte der Malefizschreiber mit der Feder die Aussagen der Kinder.
    Direkt hinter ihm stand Faltermayer, die Arme verschränkt und mit einem unerklärlichen Lächeln auf den Lippen. Kathi deutete es als Schadenfreude oder etwas noch viel Gemeineres. Vikar Ludwig stand am Fenster. Er trug einen langen hölzernen Rosenkranz mit braunen und schwarzen Perlen über seiner Kutte. Daran hing ein Kreuz. Kathi hatte im Angesicht des Rosenkranzes schon manche Strafe erfahren. Ludwig trug ihn immer dann, wenn eine wichtige Entscheidung bevorstand und die Kinder darauf schwören mussten.
    Der Folterknecht wies sie an, sich neben Ulrich und Benedikt, die mit unsicherem und gesenktem Blick dastanden, aufzustellen; neben ihnen stand dieses verdreckte Kind, das Kathi nur für einen Augenblick von hinten gesehen hatte und dessen Stimme ihr so vertraut erschienen war. Kein Wunder, denn nun erkannte sie Ursula – ihre seit Wochen verschwundene Freundin, die sie mit Barbara und Otto immer unten am Fluss getroffen hatte. Sie sah bemitleidenswert dünn aus. Sie mochte seit Tagen nichts mehr gegessen haben, und um ihre Gesundheit war es offenbar ebenfalls nicht gut bestellt. Was um alles in der Welt machte sie hier?
    Kathi ging an ihr vorüber, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Auch Ursula verriet mit keiner Regung, dass sie Freundinnen waren. Sie taten gut daran, denn Kathi bemerkte den prüfenden Blick von Dürr und Faltermayer. Sie wollten sie offenbar auf die Probe stellen.
    Nachdem sie alle in einer Reihe standen, schaute Dürr sie lange und eindringlich an. Die Stille war bedrückend. Die Kinder waren wie erstarrt, nur Andreß nicht. Er murmelte leise seine Hexenreime vor sich hin, und das Stillstehen behagte ihm überhaupt nicht. Er zuckte in einem fort, als wolle er loslaufen und zwischen den ehrwürdigen Herren Purzelbäume schlagen.
    «Andreß», zischte ihn Ludwig an, «beherrsch dich.»
    «Lassen wir der Natur ihren Lauf», korrigierte ihn Meister Dürr. «In dem Jungen steckt etwas, das nach draußen will. Die Frage ist nur: Was könnte das sein?»
    Die Frage war an die Kinder gerichtet. Sie schauten überrascht und verwirrt. Woher sollten sie das wissen? Sie kannten den Jungen nicht einmal.
    «Weiß niemand», wiederholte Dürr, «was in den Jungen gefahren sein könnte?»
    Alle schüttelten den Kopf.
    «Seine Mutter hat mir bezeugt, dass das Kind bis gestern völlig normal gewesen sei. Erst als es heute Morgen erwachte, stellte sie dieses seltsame Verhalten an ihm fest.»
    Eine dreiste Lüge, dachte Kathi. Wann immer sie ihn bei den Hinrichtungen gesehen hatte, hatte er sich verhalten, als sei alles ein großer Spaß. Sein Verhalten war verletzend und schändlich zugleich. Hier wollte sich jemand von Schuld reinwaschen. Vermutlich fürchtete die Mutter den Verdacht, irgendetwas sei mit ihrem Kind nicht in Ordnung, und beugte so vor.
    «Verspürt einer von euch denselben Drang?», fragte Dürr.
    Er erntete Kopfschütteln.
    «Interessant», sprach er weiter und erhob sich. «Die Aussagen jedes Einzelnen von euch sind gleich. Jeder will mit dem Geist der Hexe Babette nachts

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