Die Kinderhexe
Mutter festnehmen lassen.
Dürr hatte in den Jahren als Hexenkommissar gelernt, auf alles vorbereitet zu sein, und so hatte er seine Mutter vor Beginn des Brandtages zu einem Freund in die Pleich gebracht, damit in Ruhe abgewartet werden konnte, ob die Vorwürfe gegen sie bestehen blieben. Zum Teufel damit, schimpfte er, wer konnte ahnen, dass außer der Paulus noch andere den Finger gegen ihn erhoben? Den ersten beiden hatte er noch rechtzeitig das Maul stopfen können, aber den anderen?
Himmel, Arsch und Hölle. Damit hatte wirklich niemand rechnen können.
Hinter dem Karmeliterkloster zügelte er den Hengst und ließ ihn zum Haus des Freundes auslaufen. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, als hätte er es eilig.
Wenn er die Mutter aus dem Haus geschafft und das Pleicher Tor hinter sich gelassen hatte, würde er mit ihr nach Veitshöchheim reiten, um sie unauffällig einzuschiffen. Von dort aus war es nicht mehr weit bis zur Landesgrenze in Gemünden. Danach würde sie Aufnahme bei einer Köhlerfamilie im Spessart finden, der er in einer anderen Sache geholfen hatte.
Er betete zu Gott, dass es gelingen möge. Doch Dürr hatte nicht mit dem Starrsinn seiner Mutter gerechnet.
Sie empfing ihn bereits vor dem Haus in Mantel und Haube.
«Keinen Moment länger bleibe ich in dieser schäbigen Hütte.»
Dürr drosselte das Pferd und stieg ab.
«Was machst du hier draußen? Hatte ich dir nicht gesagt …»
«Papperlapapp. Ich will nach Hause. Jetzt, sofort.»
Im Hintergrund sah er Nepomuk, den Kannengießer, hilflos mit den Schultern zucken.
Dürr nahm sie zur Seite. «Du kannst nicht mehr nach Hause.»
Sie brauste auf. «Was fällt dir ein? Natürlich werde ich …»
«Die Stadtknechte erwarten dich schon. Sie haben Befehl, dich zur Befragung zu bringen. Hortensia hat dich zu einer Hexe gemacht.»
«Aber …»
«Mutter, es ist zu spät. Ich konnte nichts dagegen tun. Wir müssen fliehen.»
Allmählich schien sie zu verstehen. Sie hätte nun in Panik verfallen müssen, doch dann wäre sie nicht die Mutter des Hexenkommissars Dürr gewesen. In der höchsten Not kam ihr Überlebenssinn zurück.
«Du musst noch mal in unser Haus», flüsterte sie ihm geschäftig zu, «in der Speisekammer, unter dem zweiten Regal, ist eine Büchse ins Mauerwerk eingelassen. Darin befinden sich der Schmuck, das Geld und all die Urkunden.»
Dürr seufzte. «Wir müssen jetzt die Stadt verlassen, bevor die Wachen Nachricht erhalten. Danach kehre ich zurück und rette, was noch zu retten ist.»
Sie nickte stumm. Dann sah sie sich um. «Wo ist die Kutsche? Du willst mich doch nicht auf diesen Gaul setzen?»
Aus dem nahen Kloster Sankt Marx trat Schwester Walburga vor die Tür und wunderte sich über das Gezänk auf dem kleinen Platz. Sie ließ sich nicht weiter davon aufhalten, sie hatte Wichtigeres zu tun. Pfarrer Ludwig hatte nach ihr schicken lassen. Sie solle ins Kloster Neumünster kommen, er brauche ihre Hilfe bei einer delikaten Angelegenheit. Sie fragte sich, worum es sich wohl handelte, dass er eine Schwester aus einem anderen Kloster hinzurief. Er hatte durch die Vorfälle der letzten Tage doch alle Unterstützung, die man sich als Pfarrer nur wünschen konnte.
Gleich würde sie es erfahren.
An der Pforte empfing sie Bruder Christophorus. Sie musste nichts sagen. Wortlos führte er sie zu einer Kammer, die abseits des Konvents in einem Gerätehaus lag. Sie klopfte, und Ludwig öffnete.
«Schwester Walburga», sagte er erleichtert. «Ich danke dir, dass du so schnell kommen konntest.»
Sie trat ein und sah ein Mädchen auf einem Stuhl sitzen. Augenscheinlich ging es ihr nicht gut, sie weinte und hielt den Kopf gesenkt.
«Was ist mit ihr?», fragte Walburga. «Hat sie sich verletzt?» Sie beugte sich zu ihr hinab. «Und überhaupt: Was macht sie hier?»
Zu viele Fragen auf einmal. «Es ist kompliziert», antwortete er und rieb seine Hände angestrengt, als versuche er, einen Schmerz in den Fingern zu besänftigen. «Ich werde dir alles erklären. Doch zuvor muss ich etwas Dringendes erledigen.»
Walburga verstand nicht. «Und wie kann ich dir helfen?»
«Achte auf sie. Lass niemanden herein, und vor allem: Sie darf mit niemandem sprechen.»
«Wieso sperrst du sie nicht einfach ein?»
Er beugte sich an ihr Ohr. «Vielleicht spricht sie mit dir. Hör aufmerksam zu und berichte mir.»
Sie nickte. «Wann kommst du zurück?»
«Bald», antwortete Ludwig ausweichend und ging zur Tür. Als er sich noch
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