Die Kinderhexe
Mörderin.»
Grit ahnte, worauf er anspielte. «Unverschämter Lügner», keifte sie zurück.
«Ich habe einen Zeugen. Eine Magd, die in deiner Truhe wundersame Sachen entdeckt hat. Alles Dinge, die du mit deinem Komplizen ahnungslosen Reisenden geraubt hast. Er wurde gefangen und liegt in Wertheim im Loch.»
Diese Nachricht verschlug ihr die Sprache. Wenn Dürr ihre Truhe untersuchen ließ oder gar mit ihrem Komplizen sprach, war sie verloren.
Lorentz triumphierte. «Nun hast du nichts mehr zu sagen, nicht wahr?»
Woher wusste er vom Inhalt der Truhe? Doch dann fiel Kathi ein, dass auch Ursula davon gesprochen hatte. Im Kreis der Schwarzen Banden war das offensichtlich längst kein Geheimnis mehr.
Als Nächsten suchte er sich Benedikt aus. «Deine Tante und dein Onkel sind als Hexe und Zauberer vor einem Jahr verbrannt worden. Willst auch du mich einen Lügner schimpfen?»
Nicht nur Benedikt wusste, in welcher Gefahr er wegen seiner Verwandtschaft steckte. Er senkte wortlos den Kopf.
Schließlich wandte er sich Kathi zu. «Und du bist die Tochter eines Diebs.»
Helene traf der Vorwurf wie ein Blitz. Was sagte diese kleine, verlogene Kröte da über ihren Mann? Sie musste sich beherrschen, damit sie nicht auf ihn losging.
«Dein Vater hat sich mit dem Gold des Bischofs davongemacht. Er lässt es sich in Köln gutgehen, während alle glauben, die Landsknechte hätten ihn erschlagen und das Gold geraubt.»
Faltermayer erhob sich. «Woher willst du das wissen?»
«Er hat einen der Unsrigen im Gramschatzer Wald erschlagen, als wir ihn aufspürten. Ich kann Euch zu seinem Grab führen, wenn Ihr wollt.»
Dürr und Faltermayer schauten sich fragend an. Konnte das stimmen? Sie gingen einen Schritt zur Seite und beratschlagten.
«Selbst wenn es sich als Lüge herausstellt, wir dürfen den Hinweis nicht unterschlagen», gab Faltermayer zu bedenken. «Der Bischof will sein Gold wiederhaben.»
Kathi las in ihren Gesichtern, dass sie den Vorwurf ernst nahmen. Unruhe erfasste sie. Es durfte nicht sein, dass dieser Bastard das Ansehen ihres Vaters und die Ehre ihrer Mutter beschmutzte. Womöglich wurde Helene noch in Haft genommen, um die vermeintliche Wahrheit aus ihr herauszupressen.
In Sachen Gold ließ der Bischof nicht mit sich spaßen. Er würde alles unternehmen, um es zurückzubekommen. Und was das hieß, hatte Kathi an den Angeklagten gesehen, die mehr tot als lebendig aus den Folterkammern gekommen waren.
Sie musste etwas unternehmen, jetzt und sofort, bevor die Anschuldigung noch mehr Zweifel säte. Doch was konnte das sein? Es gab nur einen Ausweg.
«Lüge», rief sie laut und drehte sich zu allen Seiten, damit es möglichst viele hören konnten. «Alles, was dieser Junge sagt, ist eine hinterhältige Lüge. Er ist nie mit Babette zum Schalksberg ausgefahren, und er hat nie den Teufel gesehen. Ich weiß es genau, denn Babette ist auch mir niemals erschienen, genauso wenig wie den anderen. Wir haben uns alles nur ausgedacht. Babette liegt tot in ihrer Asche. Es gibt keine Hexe!»
Seit Beginn der Kindesentführungen kannte jeder in der Stadt Kathi. Jeder wusste, dass erst auf ihre Beschuldigungen hin das ganze Ausmaß der angeblichen Missetaten offenbar geworden war und dass die Hexenkommissare ihr ganz und gar vertrauten, genauso wie die Bürger der Arbeit der Hexenkommissare vertrauten. Diese waren studierte Doktoren und eigens für die Jagd auf die Unholde ausgebildet. Sie standen in der Pflicht, die Lüge von der Wahrheit unterscheiden zu können.
Wenn sie mit ihrer gottgefälligen Arbeit herausgefunden hatten, dass Babette unschuldige Kinder zum Schalksberg brachte, dann stimmte das.
Und nun sollte alles eine große Lüge sein? Nie und nimmer, dann hätten Kathi und die anderen Kinder es ja fertiggebracht, den Bischof, die Hexenkommissare und die Bürger an der Nase herumzuführen. Das durfte nicht sein.
Den eigentlichen Schock durch Kathis Geständnis erlitten aber Grit, Anna, Ulrich, Benedikt und all die anderen, die ihre Anschuldigungen auf die Aussage Kathis gestützt hatten. Wenn sie zugab, gelogen zu haben, dann hatten auch sie gelogen. Nicht auszudenken, welche Konsequenzen das haben konnte. Prügel, Kerker und öffentliche Bloßstellung am Pranger waren dafür die geringfügigen Strafen. Weit Schlimmeres hatten sie von den Verwandten und Freunden derjenigen zu erwarten, die sie mit ihrer Anschuldigung in die Folterkeller und beinahe auf den Scheiterhaufen gebracht hatten.
Fassungslos
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