Die Kinderhexe
Sache nun selbst in die Hand nehmen. Der Bischof erwartete seinen Bericht. Schnellen Schritts ging er die Treppe hoch.
Im Geräteschuppen gegenüber hatten Kathi und Volkhardt das Eintreffen Faltermayers beobachtet, nachdem Volkhardt das Türschloss beherzt aufgestemmt hatte.
«Was macht der denn hier?», fragte Kathi.
«Er versucht wohl zu retten, was zu retten ist», antwortete Volkhardt.
«Was meinst du damit?»
«Das erzähl ich dir später», sagte er und nahm sie an die Hand. «Zuvor müssen wir verschwinden.»
Zusammen eilten sie an der Wand entlang hinüber zur Küche.
Oben, am Fenster des Schlafsaals, stand Ursula und beobachtete die beiden. Sie hoffte, dass ihre Flucht gelang, denn sie wusste nicht, wie lange sie noch standhalten würde.
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26
Volkhardts Versteck lag hoch oben in den Weingärten auf dem Nikolausberg. Von hier aus hatte er nicht nur einen ausgezeichneten Blick über die Stadt, sondern auch auf die gegenüberliegende Burg des Bischofs am Frauenberg. In dessen Verlängerung lag der Schalksberg, der Ort allen Übels. Unten im Tal floss der Main ruhig dahin, als wäre überhaupt nichts geschehen. Dabei brannte es in der Stadt lichterloh – diesmal jedoch brannten keine Häuser, sondern Verunsicherung ging um. Kathis Beichte war von den umstehenden Stadtknechten den Bürgern berichtet worden. Die fragten sich, ob sie ihre Seele nun vollends an den Teufel verloren oder ob sie die Wahrheit gesprochen hatte.
Der Aufstieg war steil und anstrengend, Kathi kam gehörig ins Schwitzen. Sie hatte schon lange keinen Berg mehr erklommen, zuletzt mit ihrem Vater.
Lorentz fiel ihr ein und was er über ihren Vater gesagt hatte. Ihr Vater sollte tatsächlich noch am Leben sein und das Geld des Bischofs in Köln verprassen? Im ersten Moment war sie so wütend geworden, dass sie Lorentz hätte umbringen können. Dann aber fragte sie sich, wieso er überhaupt auf diesen Gedanken gekommen war, wenn nicht ein Funken Wahrheit in ihm steckte?
Aber nein, das konnte nicht sein. Sie hatte ihren Vater gut genug gekannt, um zu wissen, dass er sie und ihre Mutter niemals alleine in Würzburg zurücklassen würde. Lorentz war ein niederträchtiger Lügner, der sich nur aufspielen und sie verletzen wollte.
«Er sagt nichts, ohne etwas zu bezwecken», erwiderte Volkhardt auf ihre Frage, warum Lorentz behauptete, den Aufenthaltsort ihres Vaters zu kennen. «Sei auf der Hut vor ihm. Ich habe ihn unterschätzt.»
«Aber er ist doch noch so klein.»
«Er ist ein Satansbraten, wie man sich ihn nur vorstellen kann. Und wenn man seinen Vater kennt, weiß man auch, warum. Als Spielmann ist er viel herumgekommen, Lorentz war stets an seiner Seite. Er hat alles von dem Tunichtgut gelernt. Lügen, stehlen, betrügen. Er war lange Zeit mein bester Soldat.»
«Warum hat er dann die Schwarzen Banden verlassen?»
Volkhardt lächelte bitter. «Weil er herausgefunden hatte, dass man mit einer ordentlichen Lüge viel schneller an ein Mittagessen kommt als mit kleinen Diebstählen.»
Kathi blieb stehen. Sie musste eine Rast einlegen und setzte sich auf einen Stein. Volkhardt ließ sich neben ihr nieder. Gemeinsam schauten sie hinunter auf die Stadt.
«Ich soll ihm also kein Wort glauben», wiederholte Kathi. Sie war ein wenig erleichtert.
«Zumindest würde ich seine Lügen nicht unwidersprochen hinnehmen. Andererseits kennt er viele Spielleute und fahrendes Volk. Es kann durchaus sein, dass jemand glaubt, deinen Vater in Köln gesehen zu haben. Aber vielleicht hat er ihn auch verwechselt. Irrtümer und Gerüchte reisen schnell. Sie werden von Mal zu Mal größer. Lorentz weiß das geschickt für sich zu nutzen. Misstraue ihm, dann liegst du richtig.»
Kathi seufzte. Diese Ungewissheit nagte an ihr. Wie konnten ihre Mutter und sie jemals zur Ruhe kommen, wenn unklar war, ob ihr Vater noch lebte? Ganz abgesehen von der Schande, Tochter eines Lügners und Betrügers zu sein.
«Ich sorge mich um die anderen Kinder», fuhr Volkhardt fort. «Wenn sie Lorentz’ Lügen weiterhin Glauben schenken, werden sie alle sterben.»
«Wie kommst du darauf?»
Volkhardt hob einen kleinen Ast vom Boden auf und stocherte damit in der feuchten Erde herum. «Bei uns damals begann es mit einem Jungen, kaum sechs Jahre alt, der von sich behauptete, er könne Frösche und Fliegen zaubern …»
«Haben die Erwachsenen ihm das geglaubt?»
«Anfänglich nicht, aber als ein zweites Kind dasselbe sagte, wurden einige
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