Die Kinderhexe
Schluss für die Hexenjäger übrig.»
«Und das verleiben sich der Bischof und seine Kommissare einfach ein?»
Volkhardt nickte. «Es ist eine elegante Art, unliebsame Rivalen loszuwerden und den eigenen Säckel zu füllen. Ohne diese Vermögen gäbe es nur wenige Prozesse, da sie sonst nicht bezahlt werden könnten.»
Davon hatte Kathi nichts gewusst. Bis vor kurzem war sie fest davon überzeugt, der Bischof und seine Kommissare handelten allein nach dem Gesetz. Doch nun stellte sich heraus, dass sie keinen Deut besser waren als der niederträchtigste Straßenräuber.
«Das Schlimme daran ist», berichtete Volkhardt weiter, «dass sie unschuldige Kinder für ihre Verbrechen missbrauchen. Zuerst machen sie sie zu Anklägern, dann zu Beschuldigten, und am Ende landen sie alle auf dem Scheiterhaufen. Damit gibt es keine Zeugen, und sie können ungestört ihre geraubten Reichtümer verprassen.»
Kathi wollte das nicht wahrhaben. «Aber das kann doch nicht geheim gehalten werden. Es muss doch irgendjemanden geben …»
Volkhardt ließ sich mit der Antwort Zeit. «Eines Abends, es war noch bevor meine Eltern abgeholt wurden, geriet mein Vater darüber so sehr in Zorn, dass er an den Kaiser schrieb. Ab dem Tag, an dem die Antwort eintraf, war er ein gebrochener Mann.»
Eine ganze Weile saßen sie da, sagten nichts und schauten auf die Stadt zu ihren Füßen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Kathi traute sich nicht, Genaueres zu erfragen, aber sie schwor sich, diese Ungerechtigkeit niemals hinzunehmen. Aber was würde ein zehnjähriges Mädchen schon gegen einen Bischof und seine Kommissare ausrichten können?
Da hörten sie Hufschlag. Ein Reiter kam im schnellen Galopp von Sankt Burkhard herüber. Sein schwarzer Mantel und sein bleiches Gesicht ließen nur eine Vermutung zu.
«Das ist Dürr», staunte Volkhardt. «Dass der sich noch in die Stadt traut.»
Er hatte die Mainbrücke, die einzige Verbindung in die Stadt, bereits hinter sich gelassen und hielt nun allem Anschein nach auf Heidingsfeld zu. Doch bevor er hinter der nächsten Biegung verschwand, zügelte er das Pferd und stieg ab.
«Was hat er vor?», fragte sich Volkhardt. Er stand auf, um die merkwürdige Situation weit unter ihm am Hang genauer beobachten zu können.
Dürr machte sich an einem Fischerboot zu schaffen. Er löste die Leine, sprang hinein und begann mit der kleinen Nussschale den Main zu überqueren.
«Wo will er hin?», fragte Kathi.
«Wenn Dürr in die Stadt zurückschleicht, dann sollten wir uns das nicht entgehen lassen», antwortete Volkhardt. «Was meinst du?»
Kathi nickte und gab damit das Startsignal für einen schnellen Abstieg. Durchs Gehölz ging es steil bergab. Nur wenn sie sich beeilten, konnten sie Dürr auf der Spur bleiben. Als sie am Ufer angekommen waren, hatte er aber schon auf der gegenüberliegenden Seite angelegt.
«Den holen wir nicht mehr ein», keuchte Kathi, und Volkhardt wollte ihr schon zustimmen. Doch Dürr musste erst einen Weg durch die Palisaden finden, denn durch das bewachte Sandertor konnte er nicht hinein, ohne von den Wachen festgenommen zu werden.
Das war ihre Chance. Sie banden ein Boot los und setzten über. Mit Volkhardt an den Rudern ging es überraschend flott, obwohl das Wasser höher stand und schneller floss als sonst. Er war ein geschickter und kräftiger Junge, der mit den Rudern umzugehen verstand.
«Ich frage mich», sagte er, «wieso Dürr das macht. Er weiß doch, dass er mitsamt seiner Hexenmutter im Folterkeller landen wird.»
Etwas Wichtiges musste es schon sein, dachte Kathi, und im selben Moment belustigte sie der Gedanke beinahe, was sie soeben taten: Sie waren einem ehemals gefürchteten Hexenjäger auf der Spur.
Dürr hatte schließlich Erfolg, ein Durchgang zur Stadt war offen. Kathi und Volkhardt beeilten sich, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sie verfolgten ihn durch die engen Gassen des Mainviertels und landeten schließlich vor dem Dürr’schen Haus.
«Für so dumm hätte ich ihn nicht gehalten», sagte Volkhardt. «Wenn ein Nachbar ihn sieht, ist er verloren.»
Ein Karren an der Ecke bot ihnen Schutz. Sie stellten sich dahinter und beobachteten das Haus.
«Was mag er nur dadrin treiben?», fragte Kathi.
Volkhardt handelte entschlossen. «Komm, lass es uns herausfinden.»
«Bist du nicht gescheit?», widersprach Kathi. «Da würde ich niemals hineingehen.»
«Gut, dann gehe ich allein.»
Er wartete keine Antwort ab und schlich auf die Tür zu. Kathi
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