Die Kinderhexe
sah ihm besorgt nach. Sei’s drum, sagte sie sich und hastete ihm hinterher.
Die Eingangstür war angelehnt. Sie drückte sie vorsichtig auf. Licht fiel in den Gang. An der Seite ging eine Treppe hoch. Volkhardt stand schon auf der ersten Stufe. Er zeigte nach oben, was wohl so viel bedeutete wie: Dürr ist oben. Das glaubte er zumindest.
Aber als Kathi den Flur betreten hatte, fiel die Tür hinter ihr krachend ins Schloss. Sie fuhr herum.
Aus dem Dunkel sprach jemand zu ihnen.
«Was wollt ihr hier?»
Da stand Dürr mit einem Dolch in der Hand. Er hatte sie erwartet, und sie waren in die Falle getappt.
Kathi blieb vor Schreck die Antwort im Hals stecken. Volkhardt war nicht minder überrascht.
«Ich fragte: Was wollt ihr?»
Er machte einen Schritt auf Kathi zu, die beim Anblick des Dolchs zurückwich. Volkhardt kam ihr zu Hilfe. Er stellte sich mutig zwischen sie und die Klinge.
«Verzeiht, Meister Dürr, dass wir in Euer Haus eingedrungen sind. Wir führen nichts Böses im Schilde. Die Neugier hat uns hierher geführt.»
Ein Lächeln flog über sein Gesicht. «Die Neugier hat schon manche diebische Katze das Leben gekostet. Ich frage mich, ob ich mit euch nicht genauso verfahren sollte.»
Er kam näher.
«Es ist allein meine Schuld», sagte Volkhardt. «Das Mädchen ist mir nur gefolgt.»
«Gut, dann frage ich dich zum letzten Mal: Was willst du hier?»
Kathi trat aus dem Hintergrund. «Wir haben Euch vom Nikolausberg aus gesehen, wie Ihr dahergeritten kamt. Das machte uns neugierig. Wir wollten wissen, wie Ihr es wagen könnt, in die Stadt zurückzukehren, jetzt, da Eure eigene Mutter unter dem Verdacht der Hexerei steht.»
Dürr überlegte. Ja, diese Frage hätte er sich wahrscheinlich auch gestellt. «Los, geht vor», sagte er schließlich und deutete mit dem Dolch auf eine Kammer, die am Ende des Flurs lag.
Volkhardt und Kathi kamen der Anweisung nach. Die Kammer war offenbar das Arbeitszimmer, in dem viele Bücher untergebracht waren. An den Wänden hingen Bilder von ruhmreichen Schlachten der kaiserlichen Truppen, von verstorbenen Bischöfen Würzburgs, aber auch ein Kreuz mit einem Marienbild daneben. Das Jesuskind segnete den Herrn des Hauses und all seine Abkömmlinge.
«Setzt euch», sagte er und stellte Becher und einen Krug Wasser auf den Tisch. Nachdem er eingeschenkt hatte, setzte er sich ebenfalls. Sein Misstrauen schien gewichen. Für den Moment zumindest.
«Ihr wollt also wissen, wieso ich zurückgekommen bin?»
Volkhardt und Kathi nickten.
Dürr schien abzuwägen, ob er ihnen wirklich die Wahrheit sagen oder ob er sie nicht doch lieber aus dem Haus werfen und schnellstens das Weite suchen sollte, bevor ein Stadtknecht merkte, dass er zurückgekommen war.
Andererseits konnte ihm Kathi auch eine Frage beantworten, die ihn seit einiger Zeit umtrieb. Diese Frage hatte an seiner Überzeugung als Hexenjäger gerüttelt. Jetzt konnte er sie stellen, bevor er für immer verschwinden würde.
«Ich beabsichtige, nicht länger als nötig in dieser verfluchten Stadt zu bleiben», begann er.
Das waren ganz neue Töne, die Kathi aus dem Mund des Hexenkommissars nicht erwartet hätte.
«Ich kam zurück, um etwas zu retten, was nach meiner Ergreifung für immer verloren wäre. Vielleicht lässt sich damit wieder ein Stück Gerechtigkeit herstellen.» Er nahm eine lederne Tasche zur Hand und holte eine Mappe mit Papieren hervor. Es handelte sich um verschiedene Schriftstücke. Es waren Urteile, dann Inventarlisten und Kostenaufstellungen und schließlich Rechtsgutachten der Universitäten von Würzburg und Mainz.
Gerechtigkeit, ging es Kathi durch den Kopf. Wieso sollte gerade der berüchtigte Hexenkommissar so etwas wollen? Doch beim zweiten Gedanken ahnte sie es: Dürr wollte sich von der Schuld reinwaschen. Das Kreuz und das Marienbild an der Wand sprachen dafür, wenngleich er lange Zeit die Worte der Heiligen Schrift falsch ausgelegt hatte. Mit der Beschuldigung seiner Mutter als Hexe hatte ihn offenbar der gleiche Fingerzeig Gottes getroffen wie einst den Saulus, der seine Verblendung bereute und als Paulus das Evangelium verbreitete.
Dürr breitete einige Schriftstücke auf dem Tisch aus. Volkhardt nahm eines zur Hand.
«Was ist das?»
Dürrs Augen huschten über das Papier.
«Fuchs, Gerhardt. Ich erinnere mich an diesen Fall. Ein bis dato unbescholtener Weinhändler, der auf Anschuldigung eines konkurrierenden Geschäftsmanns festgenommen, befragt und zum Tode mit dem Schwert
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