Die Kinderhexe
Erwachsene nachdenklich. Und je mehr sie sich fragten, grübelten und zweifelten, desto größer wurde die Angst. Die Kinder spürten das, und sie stellten schnell fest, dass sie Macht über die Erwachsenen gewonnen hatten. Plötzlich standen sie im Mittelpunkt und nicht länger die Erwachsenen. Da kam ein drittes, viertes und fünftes Kind, das von sich behauptete, es sei in der Nacht zuvor mit einer Hexe zum Tanz mit dem Teufel ausgefahren. Allesamt erzählten sie die wundersamsten Geschichten, die sie zuvor von ihren Eltern, Lehrern und Pfarrern gehört hatten.
Aus den zwei Kindern zu Anfang waren bald zwanzig geworden, die alle mit Hexen und Zauberern in Kontakt stehen wollten. Und da es so viele waren, fragte auch niemand mehr, ob die Kinder die Wahrheit sagten. Jeder nahm ihre Worte einfach für bare Münze.»
Volkhardt brach ab. Er schaute starr in das Loch vor ihm, das er mit dem Ast gegraben hatte.
«Was ist los mit dir?», fragte Kathi. «Wieso erzählst du nicht weiter?»
«Es sind keine schönen Erinnerungen», antwortete er, «und es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen.» Er verharrte eine Weile, bis er fortfuhr. «Natürlich wurden den Kindern dieselben Fragen gestellt wie hier in Würzburg. Wen hatten sie auf dem Hexensabbat gesehen? Wer war mit dem Teufel im Bunde? Es wurden Namen genannt, einige überraschend, andere standen schon länger in Verdacht. Es machte keinen Unterschied. Hauptsache Namen. Die Hexenkommissare bekamen alle Hände voll zu tun. Die Scheiterhaufen brannten. Mein Vater legte Beschwerde beim Bischof ein, ein derart widerliches Treiben müsse aufhören. Wenig später fiel dann der Name Wolf von Hohenstätt, der Name meines Vaters. Ein Mädchen hatte behauptet, ihn und meine Mutter auf dem Hexensabbat gesehen zu haben. Meine Brüder und ich machten uns gleich auf den Weg, dieses Mädchen aufzusuchen. Wir wollten von ihr wissen, warum sie die Anschuldigungen gegen unsere Eltern erhob. Sie kannte uns doch gar nicht und wir sie auch nicht …»
Kathi begann zu ahnen, welches Schicksal er und seine Familie erlitten hatten.
«Da sah ich eines Nachts einen Reiter mit den Eltern des Mädchens sprechen. Es ging um Schulden, die sie hatten und die sie nun endlich begleichen müssten, ansonsten drohe ihnen der Kerker. Am anderen Morgen kehrte derselbe Mann zurück, allerdings kam er zu uns auf die Burg. In seiner Gefolgschaft waren zwölf bewaffnete Männer. Sie forderten meine zwei älteren Brüder auf, die Schlüssel zur Burg auszuhändigen und mitzukommen. Sie seien ebenfalls von dem Mädchen auf dem Hexensabbat gesehen worden.
Wir waren vorbereitet, denn wir wussten, worum es in dieser Sache in Wahrheit ging. Die Kräfte waren jedoch ungleich verteilt, und der Kampf dauerte nur kurz. Die Burg und all unser Besitz fielen an den Bischof. Meine Eltern und meine Brüder starben unter dem Schwert. Anschließend wurden sie verbrannt.»
«Und was geschah mit dir?», fragte Kathi. «Wie bist du entkommen?»
«Meine Brüder hatten mich rechtzeitig aus der Burg geschafft und zu einer Magd in den Wald gebracht. Dort harrte ich aus, bis die Nachricht mich erreichte, die Knechte des Hexenkommissars suchten nach mir. Die Magd geriet darüber in Angst und vertraute mich einem Händler an, der auf dem Weg in den Norden war. So kam ich nach Würzburg … Das ist nun einige Jahre her. Irgendwie habe ich es nicht geschafft weiterzuziehen. Doch als eines Tages derselbe Mann, der meine Eltern und Brüder gefangen genommen und umgebracht hat, nach Würzburg kam, wusste ich, dass es keinen anderen Ort auf dieser Welt für mich gibt als diesen.»
Kathi erschrak. «Er ist hier in Würzburg? Wer ist es?»
Volkhardt zögerte.
«Nun sag schon. Wer ist der Mann, der dich um deine Familie und um euren gesamten Besitz gebracht hat?»
Bevor er antwortete, bohrte er den Ast in die Erde.
«Faltermayer.»
«Unser Hexenkommissar?»
Volkhardt nickte. «Er stand vor ein paar Jahren noch in Diensten eines anderen Bischofs. Als der ihm jedoch den verabredeten Anteil verweigerte, wusste er, dass er fliehen musste.»
Kathi verstand nicht. «Wovon sprichst du? Welcher Anteil?»
«Der Teil des Vermögens, den der Bischof und seine Beamten für sich kassieren, wenn jemand der Hexerei bezichtigt wird. Nach außen hin sagen sie, das Vermögen des Beschuldigten werde für die Prozesskosten herangezogen, was zum Teil auch zutrifft. Doch je schneller die Verfahren abgewickelt werden, desto mehr bleibt am
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