Die Kindes des Todes - Inspektor Rebus 14
Kunststoff-Sporttasche quollen Krawatten und Socken. Auf den beiden Stühlen des Zimmers lagen Kleidungsstücke. Auf dem Nachttisch Zeitschriften... »Hier wohnt Simms«, sagte Rebus. Und, siehe da, auf der Frisierkommode, ein brauner Aktendeckel. Rebus drehte ihn um und las die Worte VERTRAULICH und PERSONAL-ABTEILUNG. Las den Namen LEE HERDMAN. Simms' Vorstellung von sicherer Aufbewahrung: die Akte mit der Vorderseite nach unten hinlegen, damit niemand sah, was sie enthielt. »Wollen Sie es hier lesen?«, fragte Siobhan. Rebus schüttelte den Kopf. Es waren schätzungsweise vierzig bis fünfzig Seiten.
»Glauben Sie, die Rezeptionistin wird uns davon Fotokopien machen?« »Ich habe eine bessere Idee.« Siobhan griff nach der Akte. »Am Empfang war ein Hinweisschild für einen Sekretariatsservice. Bestimmt gibt es dort einen Fotokopierer.« »Gut, dann gehen wir.« Aber Siobhan schüttelte den Kopf. »Einer von uns muss hier bleiben. Sonst sind wir angeschmiert, falls das Zimmermädchen inzwischen fertig wird und hinter sich abschließt.« Das sah Rebus ein, und er nickte. Siobhan verschwand also mit der Akte, und Rebus nahm eine oberflächliche Durchsuchung von Simms' Zimmer vor. Die Zeitschriften waren die üblichen Männer-Magazine: FHM, Loaded, GQ. Nichts unter dem Kopfkissen oder der Matratze. Keines von Simms' Kleidungsstücken hatte es bis in eine der Schubladen geschafft, allerdings hingen je zwei Hemden und Anzüge im Schrank. Miteinander verbundene Zimmer... er wusste nicht, ob das irgendwas zu bedeuten hatte. Whitereads Tür war zu gewesen, also konnte Simms nicht ohne weiteres in ihr Zimmer. Simms hingegen hatte seine Tür einen Spalt offen gelassen... Eine Einladung an seine Chefin, sich nachts zu ihm zu gesellen? Im Badezimmer: Zahnpasta und elektrische Bürste. Er hatte sein eigenes Shampoo mitgebracht: AntiSchuppen. Doppelklingen-Rasierer und Schaum aus der Spraydose. Zurück im Zimmer sah Rebus sich die Reisetasche näher an. Fünf Paar Socken und fünf Unterhosen. Zwei Hemden im Schrank, zwei weitere auf den Stühlen.
Insgesamt also fünf. Kleidung für eine Woche. Simms hatte genug Sachen für einen einwöchigen Aufenthalt eingepackt. Rebus dachte nach. Ein Ex-Soldat richtet ein Blutbad an, die Armee schickt zwei Ermittler los, um zu verhindern, dass ein Zusammenhang zur Vergangenheit des Mörders hergestellt wird. Warum schickt man zwei Leute? Was für Leute würde man normalerweise schicken? Psychologen wahrscheinlich, die den Geisteszustand des Mörders untersuchen. Weder Whiteread noch Simms machten auf ihn den Eindruck, als hätten sie irgendwelche Kenntnisse in Psychologie, oder als wären sie an Herdmans Geisteszustand interessiert. Sie waren Jäger oder vielleicht Sammler, die Jäger sammelten: eines von beidem, davon war Rebus überzeugt. Es klopfte leise an der Tür. Rebus schaute durch den Spion: Siobhan. Er ließ sie herein, und sie legte die Akte zurück auf die Frisierkommode.
»Sind die Seiten in der richtigen Reihenfolge?«, fragte Rebus. »Selbstverständlich.« Die Kopien steckten in einer gelben Versandtasche. »Wollen wir los?« Rebus nickte und folgte ihr zur Zimmertür. Doch dann blieb er stehen und kehrte um. Die Akte lag mit der Vorderseite nach oben auf der Kommode. Er drehte sie um, blickte noch einmal umher und ging hinaus. Sie hatten die Rezeptionistin angelächelt, als sie bei ihr vorbeigekommen waren. Angelächelt, aber nicht angesprochen.
»Glauben Sie, dass sie Whiteread etwas erzählen wird?«, hatte Siobhan gefragt. »Das bezweifle ich.« Und er hatte die Achseln gezuckt, denn selbst wenn sie es täte, hätte Whiteread nichts gegen sie in der Hand. Sie hatten in ihrem Zimmer nichts liegen gelassen, und es fehlte dort auch nichts. Während Siobhan auf der A 90 Richtung Barnton fuhr, beschäftigte Rebus sich mit der Akte. Vieles davon war wertlos: verschiedene Testergebnisse und Berichte; medizinische Gutachten; Entscheidungen von Beförderungs-Komitees. Handgeschriebene Randbemerkungen mit Kommentaren über Herdmans Stärken und Schwächen. Seine körperliche Ausdauer wurde in Frage gestellt, aber seine Karriere verlief mustergültig: stationiert in Nordirland, auf den Falkland-Inseln, im Mittleren Osten. Trainingseinsätze in England, Saudi-Arabien, Finnland, Deutschland. Rebus blätterte eine Seite um und blickte auf ein Blatt Papier, auf dem lediglich drei maschinengeschriebene Worte standen: AUF ANORDNUNG ENTFERNT. Darunter eine unleserliche Unterschrift
Weitere Kostenlose Bücher