Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee

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gekämpft. Señor Daga mag dir glamourös und aufregend erscheinen, aber wenn du älter bist, wirst du feststellen, dass glamouröse, aufregende Menschen nicht notwendigerweise gute Menschen sind.«
    »Was ist glamourös?«
    »Glamourös bedeutet, Ohrringe zu tragen und ein Messer bei sich zu haben.«
    »Señor Daga liebt Inés. Er wird Babys in ihren Bauch machen.«
    »David!«, platzt Inés los.
    »Es stimmt! Inés sagt, das darf ich dir nicht sagen, weil du dann eifersüchtig bist. Stimmt das, Simón? Bist du eifersüchtig?«
    »Nein, natürlich bin ich nicht eifersüchtig. Es geht mich nichts an. Was ich dir zu sagen versuche, ist, dass Señor Daga kein guter Mensch ist. Er mag dich ja zu sich nach Hause einladen und dir Eis zu essen geben, aber er hat nicht dein Bestes im Sinn.«
    »Was ist mein Bestes?«
    »Zu allererst ist es, zu einem guten Menschen heranzuwachsen. Wie die gute Saat, die Saat, die tief in die Erde gesenkt wird und starke Wurzeln ausbildet, und dann, wenn ihre Zeit gekommen ist, ins Licht durchbricht und vielfältig Frucht trägt. So solltest du sein. Wie Don Quijote. Don Quijote rettete Jungfrauen. Er beschützte die Armen vor den Reichen und Mächtigen. Nimm dir ihn zum Vorbild, nicht Señor Daga. Beschütze die Armen. Rette die Unterdrückten. Und ehre deine Mutter.«
    »Nein! Meine Mutter muss mich ehren! Und überhaupt, Señor Daga sagt, Don Quijote ist altmodisch. Er sagt, keiner reitet heute mehr auf einem Pferd.«
    »Nun, wenn du wolltest, könntest du ihn leicht widerlegen. Steig auf dein Pferd und heb dein Schwert hoch in die Luft. Das wird Señor Daga zum Schweigen bringen. Steig auf El Rey.«
    »El Rey ist tot.«
    »Nein. El Rey lebt. Das weißt du.«
    »Wo?«, flüstert der Junge. Seine Augen füllen sich plötzlich mit Tränen, seine Lippen zittern, er bringt kaum ein Wort heraus.
    »Ich weiß es nicht, aber irgendwo wartet El Rey auf dich. Wenn du suchst, wirst du ihn gewiss finden.«

Achtundzwanzig
    E s ist der Tag seiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Er verabschiedet sich von den Krankenschwestern. Zu Clara sagt er: »Ich werde deine Pflege nicht so leicht vergessen. Ich möchte gern glauben, dass dahinter mehr als nur Wohlwollen steckte.« Clara antwortet nicht; aber durch den direkten Blick, den sie ihm schenkt, weiß er, dass er recht hat.
    Das Krankenhaus hat ein Auto mit Fahrer besorgt, um ihn in seine neue Unterkunft in der Westsiedlung zu bringen; Eugenio hat angeboten, ihn zu begleiten und darauf zu achten, dass er sicher ankommt. Als sie jedoch unterwegs sind, bittet Simón den Fahrer, einen Umweg über die Ostsiedlung zu machen.
    »Das kann ich nicht«, antwortet der Fahrer. »Das gehört nicht zu meinem Auftrag.«
    »Bitte«, sagt er. »Ich muss ein paar Sachen abholen. Ich brauche nur fünf Minuten.«
    Widerwillig gibt der Fahrer nach.
    »Du hast Schwierigkeiten erwähnt, die du im Zusammenhang mit dem Schulbesuch deines Jungen gehabt hast«, sagt Eugenio, als sie nach Osten abbiegen. »Was sind das für Schwierigkeiten?«
    »Die Schulbehörde will ihn uns wegnehmen. Mit Gewalt, wenn nötig. Sie wollen ihn zurück nach Punta Arenas schicken.«
    »Nach Punta Arenas! Warum?«
    »Weil sie in Punta Arenas eine Schule speziell für Kinder eingerichtet haben, die gelangweilt sind von Geschichten über Juan und María und was sie am Meer gemacht haben. Die gelangweilt sind und das auch zeigen. Für Kinder, die den Regeln für Addition und Subtraktion, wie sie vom Klassenlehrer festgelegt werden, nicht folgen wollen. Den menschengemachten Regeln. Zwei plus zwei ist gleich vier und so weiter.«
    »Das ist schlimm. Aber warum will dein Junge nicht so rechnen, wie es sein Lehrer ihm beibringt?«
    »Warum sollte er, wenn ihm eine innere Stimme sagt, die Art und Weise des Lehrers ist nicht die richtige?«
    »Das verstehe ich nicht. Wenn die Regeln richtig sind für dich und mich und alle anderen, wie können sie dann nicht richtig für ihn sein? Und warum nennst du sie menschengemachte Regeln?«
    »Weil zwei und zwei genauso gut drei oder fünf oder neunundneunzig sein könnte, wenn wir das beschließen würden.«
    »Aber zwei und zwei ist wirklich gleich vier. Wenn du nicht
gleich sein
eine seltsame Sonderbedeutung verleihst. Du kannst selbst abzählen: eins
zwei
drei
vier
. Wenn zwei und zwei wirklich gleich drei wäre, dann würde alles ins Chaos stürzen. Wir wären in einem anderen Universum, mit anderen physikalischen Gesetzen. Im existierenden Universum ist zwei und