Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)
du, was ich meine?«, flüstert sie, als es vorbei ist. Mit einem Finger streicht sie ihm über die Lippen. »Es bringt uns nicht weiter, oder?«
Hat sie recht? Sollte er sich diese Erfahrung zu Herzen nehmen und sich vom Sex verabschieden, wie das Elena offenbar getan hat? Vielleicht. Doch einfach eine Frau in den Armen zu halten, auch wenn sie keine überwältigende Schönheit ist, gibt ihm Auftrieb.
»Ich bin nicht deiner Meinung«, murmelt er zur Antwort. »Eigentlich glaube ich, dass du dich gewaltig irrst.« Er macht eine Pause. »Hast du dich schon einmal gefragt, ob der Preis, den wir für dieses neue Leben zahlen, der Preis des Vergessens, nicht zu hoch sein könnte?«
Sie antwortet nicht, sondern ordnet ihre Unterwäsche und wendet sich von ihm ab.
Obwohl sie nicht zusammenleben, denkt er gern an sich und Elena, nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht, als Paar, oder als im Entstehen begriffenes Paar, und an die beiden Jungen demzufolge als Brüder oder Stiefbrüder. Es wird immer mehr zur Gewohnheit für die vier, ihr Abendbrot gemeinsam einzunehmen; an den Wochenenden gehen sie einkaufen oder veranstalten Picknicks oder Ausflüge aufs Land; und obwohl er und Elena keine zweite ganze Nacht miteinander verbringen, erlaubt sie ihm hin und wieder, wenn die Jungen nicht im Weg sind, sie zu lieben. Er gewöhnt sich allmählich an ihren Körper mit den vorspringenden Hüftknochen und winzigen Brüsten. Sie empfindet sexuell wenig für ihn, das ist klar; aber er denkt gern an den Liebesakt als geduldigen und ausgedehnten Akt der Wiederbelebung, des Zurückbringens von Leben in einen weiblichen Körper, der de facto gestorben ist.
Wenn sie ihn zum Liebesakt einlädt, geschieht das ohne jegliche Koketterie. »Wenn du möchtest, können wir es jetzt tun«, sagt sie dann, schließt die Tür und zieht sich aus.
Diese Sachlichkeit hätte ihn früher abgestoßen, wie ihr Nichtreagieren ihn einst vielleicht gedemütigt hätte. Doch er entschließt sich, dass er sich weder abstoßen noch demütigen lassen will. Was sie anbietet, wird er annehmen, so bereitwillig und dankbar, wie er kann.
Gewöhnlich spricht sie von dem Akt einfach als
es tun
, aber manchmal, wenn sie ihn necken will, benutzt sie das Wort
descongelar
, auftauen: »Wenn du möchtest, kannst du wieder einmal versuchen, mich aufzutauen.« Es war ein Wort, das ihm einmal in einem unbedachten Moment entschlüpft war: »Lass mich dich auftauen!« Die Vorstellung, zum Leben zurückgebracht und aufgetaut zu werden, kam ihr damals und kommt ihr heute grenzenlos komisch vor.
Zwischen den beiden entsteht nach und nach, wenn nicht Intimität, dann eine Freundschaft, die er als recht solide, recht verlässlich empfindet. Ob zwischen ihnen sowieso eine Freundschaft entstanden wäre, aufgrund der Freundschaft der Kinder und der vielen gemeinsam verbrachten Stunden, ob
es zu tun
überhaupt etwas dazu beigetragen hat, kann er nicht sagen.
Kommen so Familien zustande, fragt er sich, hier in dieser neuen Welt: gegründet auf Freundschaft, nicht so sehr auf Liebe? Es ist kein Zustand, den er kennt, mit einer Frau nur befreundet zu sein. Aber er sieht durchaus die Vorteile dabei. Er kann sich sogar vorsichtig daran erfreuen.
»Erzähl mir von Fidels Vater«, bittet er Elena.
»Ich kann mich im Zusammenhang mit ihm nicht an viel erinnern.«
»Aber er muss einen Vater haben.«
»Natürlich.«
»War der Vater ein wenig wie ich?«
»Ich weiß nicht. Ich kann es nicht sagen.«
»Würde für dich, nur hypothetisch, jemand wie ich als Ehemann in Betracht kommen?«
»Jemand wie du? Wie du in welcher Hinsicht?«
»Würdest du jemanden wie mich heiraten?«
»Wenn das deine Art ist zu fragen, ob ich dich heiraten würde, dann ist die Antwort ja. Es wäre gut für Fidel und David, für beide. Wann würdest du es denn tun wollen? Weil das Standesamt nur wochentags geöffnet hat. Kannst du dir freinehmen?«
»Bestimmt. Unser Vorarbeiter ist sehr verständnisvoll.«
Nach diesem seltsamen Antrag und dieser seltsamen Annahme (auf die keine Handlung seinerseits folgt) beginnt er eine gewisse Vorsicht bei Elena zu spüren, und eine neue Spannung in ihrer Beziehung. Er bedauert jedoch nicht, gefragt zu haben. Er findet seinen Weg. Er gestaltet ein neues Leben.
»Wie würdest du es aufnehmen«, fragt er an einem anderen Tag, »wenn ich mich mit einer anderen Frau treffen würde?«
»Mit
treffen
meinst du Sex haben?«
»Vielleicht.«
»Und an wen denkst du?«
»An niemand
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