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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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Wachstumsphase bei jedem Neuankömmling, eine Phase, die Menschen wie Álvaro und Ana und Elena mittlerweile erfolgreich durchlaufen haben? Wenn das so ist, wie lange noch, bis er als ein neuer, vollkommenerer Mann herauskommt?

Acht
    » D u hast mir gestern von Wohlwollen gesprochen, Wohlwollen als universellem Balsam für unsere Beschwerden«, sagt er zu Elena. »Aber vermisst du nicht manchmal den einfachen, alten körperlichen Kontakt?«
    Sie sind im Park, neben einem Platz, auf dem ein halbes Dutzend ungeregelte Fußballspiele im Gange sind. Man hat Fidel und David erlaubt, bei einem Spiel mitzumachen, obwohl sie eigentlich noch zu klein sind. Pflichtschuldig rennen sie mit den anderen Spielern zurück und stürmen nach vorn, aber der Ball wird ihnen nie zugespielt.
    »Wenn man ein Kind großzieht, mangelt es einem nicht an körperlichem Kontakt«, erwidert Elena.
    »Mit körperlichem Kontakt meine ich etwas anderes. Ich meine lieben und geliebt werden. Ich meine, jede Nacht mit jemandem schlafen. Vermisst du das nicht?«
    »Ob ich das vermisse? Ich bin nicht jemand, der unter Erinnerungen leidet, Simón. Wovon du sprichst, erscheint sehr weit weg. Und – wenn ›mit jemandem schlafen‹ Sex bedeuten soll – auch sehr eigenartig. Eine eigenartige Sache, um sich damit abzugeben.«
    »Aber ganz sicher bringt nichts Menschen einander näher als der Sex. Sex würde uns beide einander näher bringen. Zum Beispiel.«
    Elena wendet sich ab. »Fidelito!«, ruft sie und winkt. »Komm! Wir müssen jetzt gehen!«
    Irrt er sich oder ist ihr Röte ins Gesicht gestiegen?
    Die Wahrheit ist, er findet Elena nur mäßig attraktiv. Er mag ihre Knochigkeit nicht, ihre starke Kieferpartie und die vorstehenden Schneidezähne. Aber er ist ein Mann, sie ist eine Frau, und die Freundschaft der Kinder zieht sie zueinander. Deshalb nimmt er sich, trotz einer höflichen Zurückweisung nach der anderen, kleine Freiheiten heraus, Freiheiten, die sie offenbar mehr amüsieren als verärgern. So oder so gleitet er in Tagträumereien, in denen der eine oder andere Glücksumstand Elena in seine Arme treibt.
    Dieser Glücksumstand, als er eintritt, verkleidet sich als Stromsperre. Stromsperren sind in der ganzen Stadt nicht selten. Gewöhnlich werden sie einen Tag vorher angekündigt und treffen entweder auf Wohnungen mit geraden Nummern oder auf Wohnungen mit ungeraden Nummern zu. Im Fall der Siedlung treffen sie nach einem Plan auf ganze Gebäude zu.
    An dem betreffenden Abend hat es jedoch keine Ankündigung gegeben, nur Fidel klopft an der Tür und fragt, ob er hereinkommen und seine Hausaufgaben machen kann, weil es in ihrer Wohnung kein elektrisches Licht gibt.
    »Hast du schon gegessen?«, fragt er den Jungen.
    Fidel schüttelt den Kopf.
    »Lauf gleich zurück«, sagt er. »Sag deiner Mutter, dass ihr zum Abendbrot eingeladen seid.«
    Das Abendbrot, das er für sie zubereitet, besteht nur aus Brot und Suppe (Graupen und Kürbis mit einer Büchse Bohnen aufgekocht; er hat noch kein Geschäft gefunden, das Gewürze verkauft), aber es reicht. Fidel hat die Hausaufgaben bald erledigt. Die Jungen machen es sich mit Bilderbüchern gemütlich; dann plötzlich, wie erschlagen, schläft Fidel ein.
    »So war er seit seiner Babyzeit«, sagt Elena. »Nichts kann ihn aufwecken. Ich trage ihn hinüber und stecke ihn ins Bett. Vielen Dank für das Essen.«
    »Du kannst nicht in die finstere Wohnung zurück. Bleib über Nacht. Fidel kann mit in Davids Bett schlafen. Ich schlafe auf einem Stuhl. Ich bin es gewöhnt.«
    Es ist eine Lüge, er ist es nicht gewöhnt, auf Stühlen zu schlafen, und er bezweifelt, dass es menschenmöglich ist, auf dem kleinen Küchenstuhl mit der geraden Rückenlehne zu schlafen. Aber er lässt Elena keine Chance abzulehnen. »Du weißt, wo das Bad ist. Hier ist ein Handtuch.«
    Als er aus dem Bad kommt, ist sie in seinem Bett und die beiden Jungen schlafen Seite an Seite. Er wickelt sich in die Extradecke und schaltet das Licht aus.
    Eine Weile ist es still. Dann spricht sie aus der Stille heraus: »Wenn es dir unbequem ist, und davon bin ich überzeugt, kann ich Platz machen.«
    Er schlüpft zu ihr ins Bett. Leise, diskret haben sie Sex miteinander, mit Rücksicht auf die Kinder, die unmittelbar daneben schlafen.
    Es ist nicht das, was er sich erhofft hat. Ihr Herz ist nicht dabei, er spürt das sofort; was ihn betrifft, erweist sich die Reserve an aufgestauter Begierde, mit der er gerechnet hatte, als Illusion.
    »Begreifst

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