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Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition)

Titel: Die Kindheit Jesu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Coetzee
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und tröstlich.
    Später am Tag sieht er den Jungen, als er aus dem Fenster schaut, auf dem Rasen liegen, Kopf an Kopf mit einem anderen, größeren Jungen. Sie scheinen sich vertraulich zu unterhalten.
    »Wie ich sehe, hast du einen neuen Freund«, bemerkt er beim Mittagessen. »Wer ist das?«
    »Fidel. Er kann Geige spielen. Er hat mir seine Geige gezeigt. Kann ich auch eine Geige haben?«
    »Wohnt er in der Siedlung?«
    »Ja. Kann ich auch eine Geige haben?«
    »Mal sehen. Geigen sind teuer, und du wirst einen Lehrer brauchen, du kannst nicht einfach eine Geige nehmen und losspielen.«
    »Fidels Mutter gibt ihm Unterricht. Sie sagt, sie kann auch mir Unterricht geben.«
    »Es ist schön, dass du einen neuen Freund gewonnen hast, ich freue mich für dich. Was den Geigenunterricht angeht, so sollte ich mich vielleicht erst einmal mit Fidels Mutter unterhalten.«
    »Können wir jetzt hingehen?«
    »Wir können später gehen, nach deinem Schläfchen.«
     
    Fidels Wohnung ist am anderen Ende des Hofes. Noch bevor er klopfen kann, wird die Tür aufgerissen und Fidel steht vor ihnen, stämmig, mit lockigem Haar, lächelnd.
    Obwohl die Wohnung nicht größer als ihre und nicht so sonnig ist, wirkt sie freundlicher, vielleicht wegen ihrer heiteren Vorhänge mit dem Kirschblütenmotiv, das sich auf den Tagesdecken fortsetzt.
    Fidels Mutter kommt herbei, um ihn zu begrüßen: eine knochige, sogar hagere junge Frau mit vorstehenden Zähnen und straff hinter die Ohren zurückgebundenen Haaren. Auf unerklärliche Weise ist er bei ihrem ersten Anblick enttäuscht, obwohl er dazu keinen Grund hat.
    »Ja«, bestätigt sie, »ich habe Ihrem Sohn gesagt, er kann bei Fidels Musikunterricht mitmachen. Später können wir schauen und einschätzen, ob er die Fähigkeit und den Willen hat, Fortschritte zu machen.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen. Übrigens ist David nicht mein Sohn. Ich habe keinen Sohn.«
    »Wo sind seine Eltern?«
    »Seine Eltern … Das ist eine schwierige Frage. Ich erkläre es, wenn wir mehr Zeit haben. Zum Unterricht: Braucht er eine eigene Geige?«
    »Bei Anfängern beginne ich gewöhnlich mit der Blockflöte. Fidel« – sie zieht ihren Sohn zu sich, der sie liebevoll umarmt – »Fidel hat ein Jahr lang Blockflöte gelernt, ehe er mit der Geige angefangen hat.«
    Er wendet sich an David. »Hörst du das, mein Junge? Zuerst lernst du Blockflöte spielen, danach Geige. Einverstanden?«
    Der Junge zieht ein Gesicht, wirft seinem neuen Freund einen Blick zu, schweigt.
    »Es ist ein großes Vorhaben, Geige spielen zu lernen. Du wirst es nicht schaffen, wenn dein Herz nicht dabei ist.« Er wendet sich an Fidels Mutter. »Darf ich fragen, wieviel Sie verlangen?«
    Sie wirft ihm einen verwunderten Blick zu. »Ich verlange nichts«, sagt sie. »Ich mache es für die Musik.«
    Ihr Name ist Elena. Diesen Namen hätte er nicht vermutet. Er hätte Manuela oder sogar Lourdes vermutet.
    Er lädt Fidel und seine Mutter zu einer Busfahrt hinaus zum Neuen Forst ein, eine Fahrt, die Álvaro empfohlen hat (»Das war früher eine Plantage, doch man hat sie verwildern lassen – es wird dir gefallen.«). Von der Endstation des Buses rennen die beiden Jungen den Pfad voraus hinauf, während er und Elena hinterherschlendern.
    »Hast du viele Schüler?«, fragt er sie.
    »Oh, ich bin keine richtige Musiklehrerin. Ich habe nur ein paar Kinder, denen ich bei den Grundlagen helfe.«
    »Wie verdienst du deinen Lebensunterhalt, wenn du kein Geld nimmst?«
    »Ich übernehme Näharbeiten. Ich mache dies und das. Ich bekomme eine kleine Beihilfe von der Asistencia. Ich habe genug. Es gibt Wichtigeres als Geld.«
    »Du meinst Musik?«
    »Musik, ja, aber auch wie man lebt. Wie man leben soll.«
    Eine gute Antwort, eine ernsthafte Antwort, eine philosophische Antwort. Er ist, für den Augenblick, zum Schweigen gebracht.
    »Hast du einen großen Bekanntenkreis?«, fragt er. »Was ich meine, ist« – er packt den Stier bei den Hörnern –, »gibt es einen Mann in deinem Leben?«
    Sie runzelt die Stirn. »Ich habe Freunde. Einige sind Frauen, einige sind Männer. Ich unterscheide nicht zwischen ihnen.«
    Der Pfad wird enger. Sie geht voran; er lässt sich zurückfallen, beäugt ihren Hüftschwung. Er bevorzugt Frauen mit mehr Fleisch auf den Knochen. Dennoch mag er Elena.
    »Ich meinerseits kann diese Unterscheidung nicht aufgeben«, sagt er. »Ich würde es auch nicht wollen.«
    Sie verlangsamt ihren Schritt, damit er aufholen kann und

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